Vor nunmehr 32 Jahren importierten Schweizer Neonazis das Konzept der neonazistischen Bruderschaft aus den USA nach Europa und gründeten 1990 die «Schweizer Hammerskins» (SHS). Drei Jahrzehnte, in denen das Schweizer Chapter durch Gewalttaten, politische Agitation und Einfluss auf das internationale RechtsRock-Geschehen auffiel. Bis zu 60 Personen durchliefen seit der Gründung nachweislich die Vollmitgliedschaft der SHS, etliche weitere schafften es über den Status als Anwärter nicht hinaus. Aktuell unterhält das Chapter bis zu 20 aktive Mitglieder. Hinzu kommt die unterstützende Struktur, die «Crew 38 Zentralschweiz». In der Öffentlichkeit treten die «Schweizer Hammerskins» nur selten auf, und wenn dann meist im europäischen Ausland. Doch sie stellten stets eine Hintergrundstruktur der Schweizer Neonaziszene. Noch bis vor kurzem waren etliche Schweizer Hammerskins in extrem rechten Parteien wie der PNOS («Partei National Orientierter Schweizer») involviert. Auch im neonazistischen Kampfsport-Milieu mischen sie kräftig mit und sind dort für Labels wie «White Rex» und «Resistend Sportswear» verantwortlich. (…) Bis zur Jahrtausendwende organisierten die SHS in der Deutsch-Schweiz meist Feste – sogenannte „Trinkerkongresse“ – und übernahmen auf Konzerten befreundeter Organisationen Security-Aufgaben. Sie selbst organisierten lediglich eine handvoll Events, die selten mehr als 100 Neonazis anzogen. Die Organisation größerer Konzerte oblag zu diesem Zeitpunkt Olivier Kunz, der allerdings nicht mehr im Namen der Hammerskins agierte. Ab der Jahrtausendwende sollte sich das schlagartig ändern. Vor allem in Deutschland erhöhte sich der behördliche Druck, Konzerte mussten kurzfristig abgesagt werden oder wurden polizeilich gestürmt. Frust machte sich breit. In der Schweiz hingegen herrschte ein vergleichbar lascher Umgang der Behörden mit neonazistischen Konzerten. Die Anreise über die Grenze fand meist störungsfrei statt und auch an den Orten des Geschehens beschränkte sich die Polizei auf sporadische Kontrollen. In den angemieteten Turnhallen und Gemeindesälen waren die Neonazis unter sich. Das gemeinsame, massenhafte Zeigen des Hitlergrußes gehörte genauso zum Standard-Repertoire auf den Konzerten, wie die unzähligen Verkaufsstände, auf denen etliche strafrechtlich relevante CDs, Merchandise und NS-Devotionalien verkauft wurden. Zu nennen sei hier ein Konzert der «Schweizer Hammerskins» im April 2000 in der Grenzregion um Lörrach mit den Berliner Bands «D.S.T.» und «Legion of Thor». Beide Bands waren schon damals eng an die «Hammerskins Berlin» angebunden. Darüber hinaus ist das Konzert der SHS in der Reithalle Ettiswill im Kanton Luzern im Januar 2001 erwähnenswert, bei dem auch die deutschen Bands «Jungsturm» und «Eternal Fear» auftraten. Die Sänger der beiden Bands waren zu dieser Zeit in Deutschland Anwärter der «Hammerskin Nation». «Jungsturm» spielte nur wenige Monate später, im Mai 2001, erneut auf einem Konzert der SHS in der Nähe von Luzern. Die Konzerte waren die Präsentationsfläche der Hammerskin-Musikszene. Jedes Chapter brachte „ihre“ Bands mit und konnte sich dadurch profilieren. Die Einnahmen flossen direkt in die Strukturen der SHS, wie aus einem internen Rundbrief im Nachgang des Konzerts im Januar 2001 ersichtlich wird. So schrieben die SHS an ihre deutschen „Brüder“: „Durch eine erfreulich hohe Besucherzahl und enormen Durst der Kameraden konnten wir endlich mal wieder etwas in unsere Kasse hineingeben, was uns beim weiteren Kampf um unseren Klubraum bestimmt nützlich sein wird.“ (sic!) Zu dem Aufwind rechter Konzerte in der Schweiz dürfte auch ein deutscher Neonazi beigetragen haben: Malte Frederik Redeker (1976), aus Malsch in Baden-Württemberg. Er wohnte in Mexico, bis er 1999 in die Schweiz zog, um an der Universität in St. Gallen zu studieren. Im Januar 2000 wurde er Prospect bei den «Schweizer Hammerskins». Er war es vermutlich, der gemeinsam mit dem deutschen Chapter «Baden» am 24. März 2001 in der Ostschweiz ein Konzert u.a. mit «Celtic Warrior» organisierte. Anlass war der Geburtstag von Ulf Kaminski, der zum Zeitpunkt den «Hammerskins Baden» angehörte. Im Nachgang sei man mit der Organisation des Abends sehr zufrieden gewesen, verlautbarten verschiedene deutsche Chapter in ihren Newslettern. Redeker stand schon damals weltweit mit RechtsRock-Bands in Kontakt. Da sein Visum aufgrund seiner politischen Aktivitäten von den Schweizer Behörden nicht verlängert wurde, zog er 2001 nach Ludwigshafen in Rheinland-Pfalz, wurde jedoch 2002 Fullmember bei den SHS. 2003 gründete er das Chapter «Westmark». Heute ist Redeker „European Secretary“ der HSN und damit einer der führenden Hammerskins in Europa. Einen tatsächlichen Erfolg innerhalb der Szene erzielten die SHS aber erst am 10. August 2002. An diesem Tag richteten sie das erste „European Hammerfest“ in Eggmas in der Gemeinde Affoltern im Albis aus, rund 17 Kilometer südlich von Zürich. Um die 1.300 Neonazis waren gekommen, darunter alleine 300 Personen aus Deutschland. Das Konzert war das dahin größte Neonazi-Event in der Schweiz und sorgte entsprechend für mediale Empörung. Auch wurde hierbei deutlich, dass die Behörden noch keinen adäquaten Umgang mit solchen Konzerten gefunden hatten. So wusste die Polizei im Vorfeld etwa nicht, wo das „Hammerfest“ stattfinden würde. Im Nachgang lobten die SHS sogar die Behörden. Sie hätten sich korrekt und höflich verhalten und hätten dem Wunsch entsprochen, Journalistinnen vom Event fern zu halten, wie später auf der Webseite der SHS nachzulesen war.
via exif-recherche: DIE ERSTEN IN EUROPA – DAS „MOTHERCHAPTER“ DER HSN, DIE «SCHWEIZER HAMMERSKINS»