Seit knapp drei Jahren ermitteln die Staatsanwaltschaft Mühlhausen und die Kriminalpolizei Nordhausen gegen eine Gruppe mutmaßlicher Reichsbürger. Sie sollen Behörden und Privatpersonen erpresst und genötigt haben. Die Ermittler gehen von einer kriminellen Vereinigung aus. Der Fall dürfte in Deutschland juristisch bisher einmalig sein. Dazu trieb das Finanzamt offenbar Steuerschulden in Millionenhöhe nicht ein. In Nordthüringen soll eine Gruppe von Reichsbürgern Behörden mit Drohschreiben überzogen haben. Beamte sollten eingeschüchtert werden, um kriminellen Geschäften nachzugehen. Offenbar verzichtete das Finanzamt auf die Vollstreckung einer Steuerschuld in Millionenhöhe. Die Staatsanwaltschaft hat die Verdächtigen als kriminelle Vereinigung eingestuft. Offenbar haben die Verdächtigen Kontakt zur Gruppe um Prinz Reuß. Unter den Hunderten Schreiben, die am Amtsgericht Mühlhausen jeden Tag so eingehen, waren diese Briefe immer schnell zu erkennen. Ein Blick genügte. Denn die Beamtinnen oder Beamten in den jeweiligen Bereichen wurden nicht als “Herr” oder Frau” angeschrieben, sondern als “Mensch”. So wie, “Mensch Meier” oder “Mensch Müller”. Der Absender wollte damit offenbar deutlich machen, dass ihm Rang und Geschlecht des Gegenübers völlig egal waren. (…) Gemeinsam mit dem ebenfalls in Untersuchungshaft sitzenden Mike H. soll S. der Rädelsführer einer kriminellen Vereinigung sein: Einer Gruppe von weiteren zwölf Frauen und Männern, die mutmaßlich auch der Ideologie der “Reichsbürger” anhängen. Sie sollen zusammen seit mindestens 2021 systematisch und organisiert Behörden mit Schreiben überzogen haben, die den Verdacht der Erpressung und der Nötigung nahelegen. Schreiben, die offenbar nur einem Zweck dienten: Sich staatlichen Forderungen, wie dem Zahlen von Steuern und Ordnungsgeldern sowie dem Zwangsverkauf von Land, zu widersetzen. Das Ziel soll es gewesen sein, Beamte so einzuschüchtern, dass sie es nicht mehr wagen würden, zu agieren. Hunderte Verdachtsfälle von Erpressung und Nötigung Das, was die Ermittler nach Recherchen von MDR Investigativ in fast drei Jahren detaillierter Arbeit aufgedeckt haben, deutet auf ein ausgeklügeltes System des Unterdrucksetzens und Erpressen von Rechtspflegern, Grundbuchbeamten, Ordnungsbehörden, Gerichtsmitarbeitern, Finanzbeamten, Steuerfahndern oder Polizisten in Thüringer Amtsstuben hin. Dem mutmaßlichen Rädelsführer Steffen S. werden mehr als 260 Erpressungen und Nötigungen im besonders schweren Fall vorgeworfen. Seinem mutmaßlichen Komplizen Mike H. mehr als 50 Fälle. Das bestätigte ein Sprecher des Landgerichts Mühlhausen MDR Investigativ. Bei diesen Taten sollen die weiteren zwölf Beschuldigten, gegen die bisher noch keine Anklage erhoben wurde, geholfen haben. Sie alle sollen sich für dieses mutmaßlich kriminelle Modell systematisch untereinander abgestimmt haben.
via mdr: BUNDESWEIT WOHL EINMALIG Mutmaßliche Reichsbürger: Verdacht auf hundertfache Erpressung und Nötigung