Was war das für eine Zeit, als die Aiwanger-Brüder zur Schule gingen? Es war eine dunkelbraune Zeit, in der eine rechtsextreme Jugendkultur entstand. Bei der Betrachtung des antisemitischen Aiwanger-Flugblatts ist neben der persönlichen Schuld der Urheberschaft vor allem der gesellschaftspolitische Kontext zu beachten, in dem das Flugblatt entstanden ist. Auch ist die Frage zu klären, warum der jugendliche Hubert glaubte, seine Mit­schü­le­r*in­nen mit Hitler-Parodien erheitern zu können? 1988, als das Flugblatt erscheint, tickt ein Teil der um 1970 in Westdeutschland Geborenen rechts, national und völkisch. In diesen Jahren sind rechtsradikale Hooligans, neonazistische Kameradschaften (Michael Kühnen und andere), rechte Skinheads, rechte Rockbands, Holocaust-Leugnung und Geschichtsrevisionismus immens erfolgreich unter der westdeutschen Jugend. Es ist eine Subkultur, die vor allem die Gleichaltrigen aus türkischen, jugoslawischen, griechischen und marokkanischen Familien als Bedrohung sieht. Unter diesen Jugendlichen kursieren Witze, die den türkischen Einwanderern ein ähnliches Schicksal wie den Juden in Aussicht stellt. Und antisemitische und antitürkische Videospiele. In einer Berliner Mailbox taucht 1986 ein „Anti-Türken-Test, Made in Buchenwald – Copyright by Hitler und Hess“ auf. Darin heißt es: „Mit diesem Programm können unsere deutschen Freunde feststellen, ob sie Türken mögen oder lieber ohne Kopf sehen würden.“ Antworten auf die „Testfragen“ belohnt der Bildschirm mit „Bravo Hitlerjunge!“ oder „Falsch – ab nach Auschwitz!“ Die Ähnlichkeit der Inhalte von Anti-Türken-Test und Aiwanger-Flugblatt ist kein Zufall. Es drängt sich die Frage auf, in welche Netzwerke die Verfasser der Flugblatts in den Jahren 1987/1988 eingebunden waren. Das Flugblatt und der Anti-Türken-Test werden im Kontext der „geistig-moralischen Wende“, die Helmut Kohl 1982 ankündigte, verständlicher. Sie sind jugendlich-extreme Zuspitzungen gesellschaftlicher Debatten der politischen Mitte in jenen Jahren. Im Mai 1983 ruft Innenminister Zimmermann (CSU) die „Türkenfrage“ aus: „Ein friedliches Zusammenleben wird nur möglich sein, wenn die Zahl der Ausländer bei uns begrenzt und langfristig vermindert wird, was vor allem die großen Volksgruppen (Türken) betrifft.“

via taz: Rechte Tendenzen in der BRD der 1980er :Zimmermann und die Völkische Jugend