Erinnern heißt Verändern – JSUD und Sinti-Roma-Pride klebten nachts Plakate, um die »Harmonie der Vergangenheitsbewältigung« zu stören

»Heute werden viele Politiker:innen Reden halten, Kränze niederlegen und Schweigeminuten abhalten. Heute werden viele ›Nie wieder‹ erklingen«, heißt es im »Manifest des Erinnerns«, geschrieben von der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD) und der Initiative »Sinti-Roma-Pride«. Das alljährliche Erinnern an den Holocaust sei erstarrt und unauthentisch, finden die jungen Aktiven beider Gruppen. Ihr Verdacht: Die Gedenkzeremonien dienten in erster Linie der Selbstvergewisserung der deutschen Mehrheitsgesellschaft, die Vergangenheit bewältigt und hinter sich gelassen zu haben. In einer nächtlichen Aktion vom 26. auf den 27. Januar wollten JSUD und Sinti-Roma-Pride diese Harmonie der Vergangenheitsbewältigung stören. In mehreren deutschen Städten zogen sie um die Häuser, um Poster zu plakatieren. Die Botschaft: Das Erinnern an Schoa und Porajmos, den Völkermord an Sinti und Roma, muss mehr sein als eine ritualisierte Pflichtveranstaltung einmal im Jahr. »Aktivistisches Gedenken« nennt Hanna Veiler, Vorstandsmitglied bei der JSUD, dieses Vorgehen. »Anstatt die üblichen Orte wie Friedhöfe oder Synagogen aufzusuchen, haben wir dort plakatiert, wo einmal jüdisches Leben stattgefunden hat, sich heute aber keine Hinweise mehr darauf finden.« Sie wollen als »Leerstellen« auf die Orte aufmerksam machen, wo früher jüdisches Leben stattfand.
Veiler selbst war mit einigen Mitstreitern in Stuttgart unterwegs, um auf diese »Leerstellen aufmerksam zu machen«, wie es im Manifest heißt. Wo heute in ihrer Stadt die Filiale einer bekannten deutschen Warenhaus-Kette steht, war früher das Kaufhaus Schocken zu finden, das bis zur Enteignung durch die Nazis in jüdischer Hand gewesen war. Kein Schild erinnert an die Geschichte dieses Ortes. Aber am Morgen des 27. Januar wiesen dort Poster der JSUD mit der Aufschrift »Es begann nicht in Auschwitz« darauf hin, dass der Ermordung der Juden ihre Entrechtung und Ausgrenzung voranging. An anderen Orten der Stadt hieß es außerdem: »Der Hass gegen uns ist nach 1945 nicht verschwunden« und »Erinnern heißt Verändern«. QR-CODE Auf jedem Plakat befindet sich ein QR-Code, der Interessierte zu dem Manifest weiterleitet, in dem die Slogans erklärt werden. Dort findet sich der Verweis auf antisemitische und rassistische Kontinuitäten in Deutschland. Stichwort: Hanau und Halle.

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