Datenabfragen durch AfD-nahen Polizisten – Auf den Notruf folgt die Drohung

Nach einem politischen Streit auf Facebook ruft ein Beamter Informationen über eine junge Frau aus Polizeidatenbanken ab. Kurz darauf versuchen Rechte, sie mit diesen Daten einzuschüchtern. Rekonstruktion eines Datenschutzskandals, der womöglich nie ganz aufgeklärt wird. Es ist bereits dunkel, als sich der Vorfall ereignet. Wie an jedem Abend ist Anja H. auch an Silvester 2018 mit ihren Kindern beim Tierschutzbund und füttert die Tiere. Danach will die Familie nur noch schnell nach Hause, zum Bahnhof ist es nicht weit. Doch kurz vor der Unterführung kreuzt ein betrunkener Mann ihren Weg. So wird H. die Ereignisse später schildern. Erst verfolgt er sie und brüllt antisemitische Kommentare über Jesus und die Juden. Dann torkelt er weiter und beleidigt eine Gruppe umstehender Teenagerinnen rassistisch. Anja H. wählt 1-1-0. Sie beschreibt die Situation und ist froh, als endlich ihr Bus kommt. Was die junge Frau damals nicht ahnen kann: Durch den Anruf bei der Polizei wird nicht der Täter in den Fokus eines Ermittlers geraten, sondern sie selbst. Dan R. ist der Name des Polizisten. Anfang 2020 wurde öffentlich bekannt, dass er Informationen über politische Gegner:innen ohne dienstlichen Anlass aus Polizeidatenbanken abgerufen haben soll. In Facebook-Gruppen hatte sich der offen mit der AfD sympathisierende Polizist mit anderen Greifswalder:innen über Politik gestritten. Immer wieder erhielten seine Gegenüber bedrohliche Nachrichten und Anrufe auf Telefonnummern, die nicht öffentlich zugänglich waren.
Auch Anja H. erhielt nach ihrem Notruf unerwünschte Kontaktaufnahmen von Rechten. Kurz zuvor hatte Dan R. laut Systemprotokollen ihre Informationen aus behördlichen Datenbanken abgefragt. Die Dienstherrin des Polizisten sieht es inzwischen als erwiesen an, dass es für diese und mindestens 19 weitere Datenabfragen keinen dienstlichen Grund gab. Der Beamte wurde suspendiert, es läuft ein Disziplinarverfahren gegen ihn. Die Staatsanwaltschaft aber entschied sich, keine Anklage gegen den Polizisten zu erheben. Weil es keinen hinreichenden Verdacht auf Straftaten gäbe, wurden drei Verfahren gegen R. eingestellt. Jetzt ermittelt nur noch die Datenschutzbehörde wegen einer Ordnungswidrigkeit. (…) Im Fall von Dan R. war es die Beschwerde von Anja H., die 2019 überhaupt erst dazu führte, dass die Polizei dem Kollegen auf die Schliche kam. Für die Ermittler:innen bestehen dank der Protokolle des Polizeisystems keine Zweifel, dass Dan R. die Informationen ohne dienstlichen Grund abgerufen hat. Das geht aus der Ermittlungsakte hervor, die netzpolitik.org einsehen konnte. (…) Den Ermittlungsakten zufolge ruft Dan R. ihren Namen direkt am nächsten Arbeitstag, dem 2. Januar, in mehreren Polizeisystemen ab. Abfragen im Einsatzleitsystem FELIS, in dem die Polizei alle Notrufe aufnimmt, werden in Mecklenburg-Vorpommern grundsätzlich nicht protokolliert. Dokumentiert ist jedoch, dass Dan R. Anja Hs. Daten mit der Polizei-Schnittstelle EMRA-X aus dem Register des Einwohnermeldeamtes abfragt. Auch im polizeilichen Informationssystem INPOL und in der EVA-Datenbank mit Verkehrsunfällen sucht er nach ihr. Nur wenige Stunden später veröffentlicht ein anderer Mann aus dem rechten Lager im Greifswalder Meinungsplatz die persönlichen Daten der jungen Frau. Anja H. muss ihren vollen Namen, ihr Alter und ihren Herkunftsort in der Facebook-Gruppe lesen. Mehrere Personen aus dem rechten Lager kommentieren höhnisch.

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