Mit Rechten paktieren, statt einen Linken zu unterstützen? Thüringen zeigt, warum das Gleichsetzen von sogenannten politischen Rändern gefährlich ist. Es war bemerkenswert, wie Mike Mohring, Landesvorsitzender der CDU in Thüringen, in der vergangenen Woche die Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) zum Ministerpräsidenten begründete: „Wenn zwei Kandidaten zur Wahl stehen, von der AfD und der Linkspartei, und es gibt ein Angebot aus der Mitte, dann ist es doch wohl folgerichtig, dass die CDU, die sich als Partei der Mitte sieht, auch diesen Mitte-Kandidaten unterstützt.“ Christdemokraten und Liberale generierten sich als bürgerliche Kräfte, mit Brandmauern gegen die Ränder von rechts und links. Hinter einer Mauer sitzt demnach ein Faschist mit völkischen Gesellschaftsvorstellungen, hinter der anderen Mauer ein abgewählter Ministerpräsident, der fünf Jahre lang eine pragmatische sozialdemokratische Politik verfolgt hat. Doch ins Amt gehoben wurde Kemmerich mit Unterstützung der völkischen AfD, um den Kandidat der Linken zu verhindern. Diese Wahl zeigt, wohin politisches Denken führen kann, das die politische Landschaft schablonenhaft einteilt.
Mohring und Co folgen dabei dem Extremismuskonzept, das tief in der politischen Kultur der Bundesrepublik verankert ist. Die Huldigung der Mitte und der Kampf gegen alle Formen des Extremismus sind Staatsräson. Der Extremismusforscher Eckhard Jesse fordert seit Langem gebetsmühlenartig eine Politik der Äquidistanz, die gleichen Abstand zu den politischen Rändern hält. Eine Differenzierung zwischen Rechts- und Linksextremismus hält er „unter dem Gesichtspunkt der Abwehrbereitschaft“ für überflüssig. Bei dem Versuch die Komplexität der Gesellschaft anhand der Linie Rechtsextremismus – Mitte – Linksextremismus zu verstehen, bleibt völlig unterbeleuchtet, was dabei wovon abgegrenzt wird. (…) In dem Containerbegriff Linksextremismus sind antagonistische Phänomene vereint: Anarchismus, Trotzkismus, Stalinismus, radikaler Feminismus, Feinde und Freunde Israels. Aufgrund dieser Heterogenität ist es der Extremismusforschung bis heute nicht geglückt, übergreifende Einstellungsmuster der genannten Strömungen zu benennen. So kann auch nicht von einem konsistenten sozialen Phänomen Linksextremismus die Rede sein. Die Kategorie erklärt letztlich nichts und wird deswegen auch vom Gros der Sozialwissenschaften nicht verwendet. Durch die pauschale Etikettierung als linksextrem geht die Analyse der jeweiligen Phänomene verloren und damit auch die Benennung der antidemokratischen Potenziale. Denn es gibt Antisemitismus, der sich auf linke Ideen bezieht, es gibt Strömungen, die im Namen linker Ideen einen autoritären Staat anstreben, und Gruppen, die im Namen linker Ideen ihren Gewaltfetisch ausleben. Entscheidend aber ist, ob jemand radikale Veränderungen auf Basis der demokratischen Prinzipien von Freiheit, Gleichheit und Solidarität anstrebt. Die Rede von Linksextremismus verschleiert diesen Unterschied.Um als rechtsextrem zu gelten, müssen antiegalitäre Positionen mit einer Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates einhergehen. So räumt der Dresdener Politologe Werner Patzelt zwar ein, dass „ein Großteil der AfD-Mitglieder und AfD-Wähler islamophobe und muslimfeindliche Positionen“ vertritt, sieht die Partei aber „innerhalb des Verfassungskonsenses“, da sie die Grundwerte der politischen Ordnung nicht infrage stellt. Forderungen nach Ungleichheit gelten erst dann als extremistisch, wenn auch die politische Ordnung infrage gestellt wird.
Was macht die Mitte gut und was die Ränder böse? Im Umkehrschluss bedeutet das, die AfD innerhalb des Demokratischen zu verorten und damit auch ihre Positionen zu legitimieren. Durch den Fokus auf die Frage, wie die AfD zur politischen Ordnung steht, hat sich das Sagbarkeitsfeld für ihre antiegalitären Positionen verschoben. Menschenverachtende Parolen sind aus Hinterzimmern in Talkshows und Parlamente eingezogen, oft ohne als das bezeichnet zu werden, was sie sind: antidemokratisch.

via tagesspiegel: Zwischen Ramelow und Höcke Warum die Extremismustheorie die Demokratie bedroht