Die Bundestagsfraktion hat sich einen Verhaltenskodex gegeben, an den sie sich nicht hält. Diskutiert wird auch über den Kampfbegriff „Remigration“. Nun steht es auch schwarz auf weiß im beschlossenen „Verhaltenskodex“ der AfD-Bundestagsfraktion: „Die Mitglieder sind um ein geschlossenes und gemäßigtes Auftreten im Parlament bestrebt, um die politische Handlungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit der Fraktion sicherzustellen“, heißt es in dem internen und der taz vorliegenden Papier. Bei Abweichungen soll es sogar Ordnungsmaßnahmen geben. Parteichef Tino Chrupalla wiederum hatte mehrfach in den letzten Wochen geäußert, dass vor allem Abgeordnete seiner Partei sich im Ton mäßigen sollen, und offene Avancen an politische Mitbewerber – zuletzt das BSW in Thüringen – gemacht. (…) Wie viel das Papier tatsächlich wert ist, zeigte sich wiederum am Montagmorgen, als der parlamentarische Geschäftsführer Bernd Baumann bei einer Pressekonferenz zum politischen Rundumschlag ausholte und sich darüber aufregte, dass man in Berlin einen Einbürgerungsantrag auch digital stellen kann: „Die deutsche Politik ist bekloppt“, schimpfte er und insinuierte rassistisch und ohne Faktengrundlage, dass „irgendein Abdullah aus Syrien-Süd“ mit einem Mausklick den deutschen Pass bekommen würde. Die üblichen Stereotype von „Islamisten, Einbrechern und Massenvergewaltigern“ gab es von Baumann noch obendrein. (…) Ins Bild passte, dass Baumann auch die Parteichefin Alice Weidel verteidigte, die noch am Rande derselben Fraktionsklausur, wo Mäßigung beschlossen wurde, die SPD mit Hitler verglich. Der Grund: Die Sozialdemokrat*innen hatten sich auf ihrem Parteitag für ein AfD-Verbot ausgesprochen. Auch Weidel war nicht um Kraftausdrücke verlegen: Die Bundesregierung solle sich schämen; die „Loser-Parteien im Bundestag“ würden die Leute „in diesem Land so unglaublich verarschen“. Dennoch sorgt der selbst verordnete Mäßigungskurs für Sprengstoff innerhalb der Partei: Denn weiter umstritten ist der Umgang mit dem rechtsextremen Kampfbegriff der „Remigration“. Der Kopf der Identitären Bewegung, Martin Sellner, hatte sich damit immer wieder für die Vertreibung und rechtliche Schlechterstellung deutscher vermeintlich „nichtassimilierter“ Staatsbürger ausgesprochen. Die Partei hat den Begriff weitgehend adaptiert, im Bundestagswahlkampf wurde er regelrecht zur Parteiräson. Wohl auch aus Angst vor dem drohenden Verbotsverfahren geht die Partei jedoch zunehmend auf Abstand sowohl zu Sellner als auch zum Begriff der „Remigration“. Denn zuletzt hatte das Bundesverwaltungsgericht im Verfahren gegen das rechtsextreme Magazin Compact deutlich gemacht, dass es den Begriff wie von Sellner gebraucht für verfassungsfeindlich halte. Wie aus unterschiedlichen durchgestochenen Arbeitsversionen des Papiers deutlich wurde, strich die Bundestagsfraktion den Begriff offenbar aus einem ebenfalls auf der Klausur verabschiedeten Strategiepapier – und hat damit für erhebliche innerparteiliche Empörungswellen gesorgt.
via taz: AfD gibt sich Benimmregeln Streit über Selbstverharmlosung
siehe auch: Benimmregeln und Positionspapier Die Charme-Offensive der AfD ist heiße Luft. Die AfD ist machtpolitisch isoliert. Will sie regieren, braucht sie Partner. Jetzt will sie gemäßigter auftreten. Kann die Strategie die Union überzeugen? Vielleicht war es nur der Hitze geschuldet – aber am Samstag beschloss die AfD, künftig einen kühleren Kopf zu bewahren. Auf ihrer Klausur in Berlin verabschiedete sie ein Positionspapier. Bei fast 30 Grad verkrochen sich die Abgeordneten in ihrem improvisierten Fraktionssaal mit Blick auf die Spree und sprachen über Benimmregeln im Parlament und wo sie inhaltlich stehen. Ergebnis: Die AfD will in Zukunft gemäßigter auftreten. Doch diese Strategie wird sie kaum durchhalten; Der Knigge-Kampf der AfD Beleidigen, bedrohen, verhöhnen – damit hatte die AfD Erfolg. Nun will sie ihren Stil ändern. Das kann man durchaus als Angriff verstehen. Der Ton macht die Musik, und Erfolg hat, wer sich gut benimmt – so hat es einst der Aufklärer und Schriftsteller Adolph Freiherr von Knigge postuliert. Bei der AfD verhielt es sich jedoch bislang genau andersherum: Sie beleidigt, bedroht und verhöhnt ihre politischen Gegner – und stieg so zur zweitstärksten Partei im Bundestag auf. Knigge scheint sich geirrt zu haben: Der Misston macht die Politik, und Erfolg hat, wer sich danebenbenimmt. Plötzlich aber wirkt es, als könnte die AfD mit ihrem Erfolgsrezept unzufrieden sein: Im Rahmen einer Klausurtagung am Wochenende hat sie einen gesitteten Verhaltenskodex für die eigene parlamentarische Arbeit beschlossen. Die Mitglieder seien um ein gemäßigtes Auftreten bestrebt, heißt es darin. Konkret bedeutet das, “der Würde des Hohen Hauses Rechnung tragen” zu wollen – etwa durch die angemessene Kleidung –, wie der stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Stefan Keuter, im Deutschlandfunk erklärte. Außerdem werde man Provokationen künftig “gewitzt und intelligent” begegnen, kündigte Keuter an, nur um selbst wenig gewitzt gegen das “unsägliche” Verhalten der “Altparteien” im Bundestag zu poltern