ie werden beleidigt und bespuckt: Deutschlandweit steigt die Zahl antimuslimischer Übergriffe, vorwiegend auf Frauen. Eine Lehrerin und eine Geschäftsfrau, die für Musliminnen gehalten werden, berichten über tief reichenden Rassismus – der nicht immer augenscheinlich ist. (…) Diese Woche hat das Netzwerk „Claim“ für 2024 einen Höchststand an antimuslimischen Übergriffen und Diskriminierungen in Deutschland vermeldet. Die 3080 dokumentierte Fälle entsprächen im Vergleich zum Vorjahr einem Anstieg um 60 Prozent. Es sei von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. Mit 71 Prozent sind hauptsächlich Frauen, die als Musliminnen wahrgenommen werden, betroffen. „Frauen mit Kopftuch werden bespuckt, Kinder werden auf dem Schulweg beschimpft, Moscheen werden mit Hakenkreuzen beschmiert“, sagt eine Claim-Sprecherin bei der Vorstellung der Zahlen. Nach eigenen Angaben haben sich in dem Netzwerk 51 Akteure der Zivilgesellschaft zusammengeschlossen. Claim wird unter anderem vom Familien- und Innenministerium gefördert. „Manchmal habe ich das Problem, dass ich denke, die Menschen wollen Geschichten hören, dass jemand bespuckt, geschlagen oder geschubst wurde. Das passiert natürlich, und Hass kumuliert sich hier“, sagt Bettina Mehić. „Aber ich habe das Gefühl, manche gruseln sich dann und klopfen sich gleichzeitig auf die Schulter, weil sie so was ja nicht machen.“ Aber antimuslimischer Rassismus gehe viel tiefer, sei struktureller, dieses „Wie gehe ich mit einem Menschen um, wie sehe ich ihn?“. Wenn sie sich als Frau mit Kopftuch mal verspreche, werde ihr das als Schwäche einer Migrantin angelastet. Dabei ist die Akademikerin im tiefsten Niederbayern in eine katholische Familie hineingeboren, steht als Gymnasiallehrerin unter anderem für Deutsch voll im Job. „Ich hab’ mich einfach versprochen, mehr nicht!“ Sie kenne Leute, die wegen der vielen negativen Erlebnisse im ÖPNV jetzt einen Führerschein machen Die 42-Jährige ist auch an diesem Tag mit dem Rad ins Münchner Forum für Islam (MFI) gestrampelt, wo sie sich ehrenamtlich engagiert und ihr Mann Imam ist. Etwas außer Atem kommt die dreifache Mutter die Stufen zum Besprechungsraum hoch, ihr weißer Fahrradhelm, den sie über dem leicht verrutschten Hidschab getragen hat, baumelt an der rechten Hand. „Ich hab’ den immer schön auf, dann sieht man das Kopftuch auch gar nicht, und ich bin ein bisschen unsichtbarer.“ Wenn man sich die Statistiken und das eigene Leben anschaue, geschähen sehr viele Übergriffe in öffentlichen Verkehrsmitteln, deshalb meide sie diese nach Möglichkeit. Erst kürzlich hatte Bettina Mehić aber auch auf dem Radweg eine Auseinandersetzung mit einem Mann, der hinter ihr in die Pedale trat und sie anblaffte, weil sie zu lahm sei und die Nachfolgenden ausbremse: „Immer die mit den Kopftüchern!“ Sie kenne Leute, sagt die gläubige Muslima, die jetzt eigens einen Führerschein machten, weil sie so viele negative Erlebnisse im ÖPNV gehabt haben. „Das ist eigentlich total traurig, weil es ein Hinausdrängen aus dem öffentlichen Raum ist.“ Dort also, wo nach neuen Claim-Zahlen ein Großteil antimuslimischer Übergriffe stattfindet. Asma A., die sich sicherer fühlt, wenn nicht ihr kompletter Name genannt wird, nickt bei den Ausführungen von Bettina Mehić. Sie erzählt von ihrer Mutter, einer tiefgläubigen Muslima „mit Kopftuch“, über deren Verhalten sie sich regelmäßig aufrege, weil sie fünf Haltestellen vor dem Ziel aussteige. „Dann, wenn sie wieder ein Andersdenkender, beim letzten Mal war es ein größerer Mann, im Bus aufscheucht und sagt, dass sie nicht auf dem Platz sitzen darf. Sie hat dann Angst, steigt aus und geht zu Fuß heim.“ Obwohl ihre Mutter Deutsch spreche und eine „toughe Frau“ sei, wehre sie sich nicht. Sie wolle Frieden, keinen Konflikt. „Ich glaube, meine Mama denkt, weil es ihr eingeredet wird, dass sie nicht das Recht hätte, hier zu sein, und wir nicht hierher gehörten.“ Ihre Tochter gerät auf dem Sofa in Rage: „Doch, ich gehöre hierher, ich bin deutsch, das ist meine Heimat, ich bin hier aufgewachsen!“
via sz: Rassismus gegen Muslime „Wir sind so vielfältig, aber die Gesellschaft will von ihrem Vorurteil nicht lassen“