In Leipzig demonstrierten im August mehrere Hundert Neonazis gegen den zeitgleich geplanten Christopher-Street-Day (CSD). Sie zeigen das neonazistische Symbol von white power (dt. “weiße macht”). Foto: dpa-Bildfunk Der offene Hass auf queere Menschen hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Das zeigten nicht zuletzt die Mobilisierungen gegen Pride Paraden samt Störversuchen und Übergriffen. Jessa Mellea und Joe Düker vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas) haben das Phänomen nun genauer untersucht. In ihrem Forschungspapier beobachten sie einen Wandel der Neonazi-Szene: Demnach wächst gerade eine neue Generation rechtsextremer Jugendgruppen heran, die zu einer langfristigen Bedrohung werden könnte. Queerhass in Zahlen – Anzeige – Allein diesen Sommer haben die beiden Forscherinnen rechtsextreme Anti-CSD-Proteste in 27 deutschen Städten ausgemacht. Die Teilnehmendenzahlen reichten von wenigen Dutzend bis zu einer Demonstration mit geschätzt 700 Rechtsextremen in Bautzen. »Es ist davon auszugehen, dass sich die rechtsextremen Gruppierungen mit ihrer Präsenz auf den anfänglichen Anti-CSD-Protesten untereinander angespornt haben«, sagt Joe Düker dem »nd«. Denn während die Proteste vor Bautzen im August weniger als 100 Teilnehmende hatten, kamen teilweise 200 bis 460 Personen zu den darauffolgenden queerfeindlichen Versammlungen. »Die rechtsextremen Jugendgruppen, die im Zuge der Anti-CSD-Proteste in diesem Jahr gewachsen sind, zeichnen sich besonders dadurch aus, dass ihre Mitglieder jung sind, dass sie sich hauptsächlich online vernetzen und über soziale Medien rekrutieren und mobilisieren«, sagt Düker gegenüber »nd«. Im Unterschied zu anderen rechtsextremen Gruppierungen trete die neue Generation selbstbewusster und aggressiver auf und verstecke ihre Ideologie nicht. Während die »Neue Rechte« sich um Personen wie den Verleger Götz Kubitschek oder den Aktivisten Martin Sellner sammle und ihre Ideologie intellektuell verbräme, böten die neuen Jugendgruppen »eine Art Straßenkultur«, so Düker. Alles außer heimlich Wer gehört zu dieser neuen Generation an Neonazis? Und wie arbeitet sie? Auch das haben die Cemas-Forscherinnen untersucht. Viele der jüngeren neonazistischen Netzwerke wurden demnach im späten Frühjahr oder Frühsommer dieses Jahres aktiv. Sie organisieren sich hauptsächlich online und nicht über bestehende Parteistrukturen, so die Autorinnen des Forschungspapiers. Anders als etablierte rechte Akteure verzichten sie in der Regel auf Telegram als Hauptkommunikationsmittel; stattdessen verwenden sie hauptsächlich Instagram, Whatsapp und Tiktok. Die Wahl dieser verhältnismäßig unsicheren Plattformen zeugt laut den Wissenschaftlerinnen davon, dass die »Mitglieder weniger die Notwendigkeit sehen, ihre Identität zu verbergen.« Insgesamt machen Jessa Mellea und Joe Düker acht Gruppen aus, mit Namen wie: Deutsche Jugend Voran (DJV), Der Störtrupp (DST), Jung & Stark (JS), Deutsche Mädels Voran (DMV) oder Elbland-Revolte. Letztere kam auf Instagram zum Zeitpunkt der Erfassung auf über 3000 Followerinnen. Die Gruppe Junge Nationalisten (JN) betreibt – untypisch für die neue Generation – einen Telegram-Kanal mit über 10 000 Mitgliedern. Meist bewegen sich die Zahlen jedoch im Bereich von einigen Hundert Followerinnen. Die Auswertung der Social-Media Aktivitäten offenbarte eine enge Vernetzung der Gruppen. Nicht selten haben drei oder mehr unterschiedliche Akteure zu denselben Gegenveranstaltungen aufgerufen und daran teilgenommen; die Gruppen DJV, JN und DST nahmen diesen Sommer jeweils an mindestens zehn Anti-CSD-Protesten teil.
