Anfang Juli wird eine junge Frau von der CDU für eine Kommunalwahl aufgestellt. Fünf Monate später mischt sie in AfD und Identitärer Bewegung mit. Wie schnell geht Radikalisierung? In einer Altbauwohnung in Marburg trifft sich Mitte November eine Gruppe von jungen Frauen. Auf den Tisch kommen Glühwein und Käsespätzle, Stoffbeutel mit Stapeln von Aufklebern: “Abschieben schützt Frauen” steht auf einem, auf einem anderen: “It’s okay to be white” (es ist okay, weiß zu sein), was Rassismus gegen Weiße suggerieren soll. Es gibt auch das Bild eines Südosteuropäers mit einem Spruch in schlechtem Deutsch: “Mach keine Handel mit Alman. Echter Deutscher gibt AfD Stimme.” Die Frauen treffen sich an diesem Tag zur “Aktivistenschulung” von Lukreta, einer Organisation der extrem Rechten, die zum Umfeld der Identitären Bewegung gehört. Mittendrin unter den Aktivistinnen ist an diesem Tag eine junge Frau, die ein paar Wochen zuvor noch niemand hier vermutet hätte. Sie wurde im Sommer noch auf eine Liste der CDU für eine Kommunalwahl gewählt und galt als Nachwuchstalent in Rheinland-Pfalz. Jetzt ist sie Mitglied der AfD und dort am rechten Rand, wo die “gesichert Rechtsextremen” sich mit immer weniger Scheu zeigen. Mit Maximilian Krah, dem neuen mächtigen Mann der Partei und Spitzenkandidaten für die Europawahl, saß sie schon auf einem Podium. Ihren bürgerlichen Job hat sie inzwischen verloren. Es ist die Geschichte einer Blitzradikalisierung. Dass sie endgültig abdriftet, bringt vielleicht ein Posting auf der Plattform X (vormals Twitter) vom 27. Oktober auf den Punkt. “Ich distanziere mich von allen Distanzierungen”, twitterte ReBelle. “ReBelle” ist ihr Pseudonym, sie tritt online schon seit Monaten nicht mehr mit ihrem richtigen Namen auf. Dieser Name, Isabelle Cofflet, stand bis Mitte November noch im Netz unter cdu-koblenz.de auf der Kandidatenliste für die Wahl zum Rat der rheinland-pfälzischen Stadt im nächsten Jahr. Am 1. Juli erst war sie auf einem CDU-Parteitag gewählt worden. In einem Facebook-Posting freute sich die Junge Union “motiviert” mit ihr über die Kandidatinnen und Kandidaten aus ihren Reihen, sie war dort seit Oktober 2022 im Vorstand. Es entstanden in den ersten Monaten vieale Fotos der örtlichen Nachwuchsorganisation mit ihr, und oft steht sie darauf im Mittelpunkt. Als im Februar 2023 die CDU Rheinland-Pfalz den aktuellen Jahrgang ihres Nachwuchsförderprogramms begrüßte, war die Koblenzerin unter den knapp 50 jungen Leuten aus ganz Rheinland-Pfalz, die ins Schulungsprogramm aufgenommen wurden. Sie hat sich selbst beworben. Was da niemand ahnt, aber ein Eintrag auf Telegram zeigt: Sie ist schon am Jahresanfang 2023 in der Chat-Gruppe des Österreichers Martin Sellner aktiv, der Galionsfigur der Identitären Bewegung und Schnittstelle zu den Strippenziehern der Neuen Rechten um den rechtsextremen Verleger und Aktivisten Götz Kubitschek. Die Identitären werden vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft und treten heute unter diesem Namen kaum noch auf.
via t-online: Geschichte einer Blitzradikalisierung Von der CDU-Hoffnung zur AfD-Rechtsaußen