Nach einer Serie rechtsextremer Anschläge stehen ab Montag mehrere Neonazis vor Gericht. Verhandelt wird dabei auch eine Straftat, die auf einem Überwachungsvideo dokumentiert wurde. Doch die Ermittler ließen das Beweismittel zunächst ungenutzt liegen. (…) Die sogenannte Neuköllner Anschlagsserie wurde schnell zum Politikum. Polizei und Staatsanwaltschaft mussten sich bei der Aufklärung etliche Versäumnisse vorwerfen lassen. Die Recherchen von rbb24 Recherche und WELT zeigen nun einmal mehr, dass es eklatante Fahndungspannen gegeben hat. Die Täter seien zwar längst identifiziert, so der Tenor, der aus Polizei und Staatsanwaltschaft über Jahre hinweg zu vernehmen war. Für die Erhebung einer Anklage fehlten aber die Beweise, hieß es. (…) Ab Montag müssen sich die zwei mutmaßlichen Haupttäter, die Neonazis Sebastian T. und Tilo P., nun doch vor Gericht verantworten. Die Berliner Generalstaatsanwaltschaft kann das zwar als Erfolg verbuchen. Doch die Fragen zur Arbeit der Ermittler werden nicht verstummen. Sie dürften sogar immer lauter werden. Denn Recherchen von rbb24-Recherche und WELT zeigen, dass die Ermittler zumindest eine der nun angeklagten Taten womöglich bereits vor mehr als drei Jahren hätten aufklären können. Bei der Straftat geht es um eine handfeste Beleidigung: Die Täter, mutmaßlich der nun angeklagte Neonazi Sebastian T. und ein weiterer Rechtsextremist, beschmierten dabei in der Nacht vom 15. auf den 16. März 2019 das Klingelschild eines ihnen vermutlich wegen seiner politischen Gesinnung missliebig erscheinenden Mannes und sprühten seinen vollständigen Namen mit dem Zusatz: “Antifa-Hurensohn” in den Eingangsbereich des Wohnhauses. Offenbar als Ausdruck ihrer rechtsextremen Gesinnung hinterließen sie an der Hausfassade zudem ein Keltenkreuz. Auf frischer Tat gefilmt Was die Täter nicht wissen konnten: Sie wurden dabei gefilmt. Denn einer der Bewohner des Hauses, namentlich der Mann, den die Rechtsextremisten als “Antifa-Hurensohn” verunglimpften, stand selbst im Visier der Polizei. Die Behörde fürchtete, der vorbestrafte Linksextremist könne weitere Straftaten begehen. Zur “Gefahrenabwehr” hatte die für die Bekämpfung des Linksextremismus zuständige Dienstelle des polizeilichen Landeskriminalamtes (LKA) daher eine Kamera vor dem Mehrfamilienhaus installiert. Was auf der Aufzeichnung dieser Nacht zu sehen ist, hielten die Linksextremismus-Bekämpfer der Polizei später in einem Vermerk fest. Die zwei auf dem Video zu sehenden Männer versuchten demnach, in jener Nacht mit einem etwa 40 Zentimeter langen Gegenstand, wenn auch erfolglos, die Eingangstür aufzuhebeln. Dann inspizierten sie das Klingelschild. Um 02:13 Uhr zog einer der Männer schließlich einen “zylinderförmigen Gegenstand” hervor, mutmaßlich eine Farbsprühdose, wie es im Bericht heißt. Wenig später besprühte er das Klingeltableau, “offenbar zielgerichtet auf einer kleinen Fläche”. Was nach der Schmiererei passierte, dürfte noch für Diskussionen sorgen – womöglich in dem ab Montag startenden Prozess, mit ziemlicher Sicherheit aber in dem vom Berliner Abgeordnetenhaus kürzlich eingesetzten parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu dem Verfahrenskomplex. (…) Die auf dem Video zu sehenden Täter wurden von den Ermittlern zunächst nicht identifiziert. Denn die Linksextremismus-Bekämpfer informierten nach der ersten, verspäteten Sichtung ihre Kollegen aus den Dienststellen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus darüber, dass Unbekannte in jener Nacht offenbar das von Rechtsextremen genutzte Symbol des Keltenkreuzes an die Hausfassade gesprüht hatten. Doch die Rechtsextremismus-Bekämpfer nutzten das Beweismittel zunächst nicht. Sie ließen es vielmehr liegen und erwähnten es in den Ermittlungsakten zunächst mit keinem Wort
via rbb: Neonazi-Anschläge in Neukölln Ermittler verzichteten auf Auswertung von Beweisvideo