In Ostdeutschland erstarkt der Rechtsextremismus nicht wegen Impfpflichtdebatten. Sondern weil der Staat ihn verharmlost und sich zurückzieht. Bei der Radikalisierung von Impf­geg­ne­r:in­nen, so schien es zuletzt, muss jemand auf Vorspulen gedrückt haben. Vor gut einer Woche zogen Menschen mit Fackeln vor das Haus von Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping. Po­li­ti­ke­r:in­nen aller Parteien äußerten Entsetzen. Verschiedene Innenminister, darunter der da noch amtierende Horst Seehofer, warnten: Das Einführen einer Impflicht könne zu weiterer Radikalisierung führen. Wenige Tage später, am Mittwoch, reagierte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) auf Morddrohungen gegen seine Person. Er sagte, man müsse „mit allen juristischen Mitteln gegen solche Entgrenzung vorgehen“. Männer hatten in einer Chatgruppe auf Telegram sowie bei Treffen erörtert, wie sie Kretschmer töten könnten. Eine Impfpflicht haben sie dafür nicht gebraucht. Die rasche Abfolge von Fackelmarsch und – durch journalistische Recherche, nicht etwa durch polizeiliche Ermittlung öffentlich gewordenen – Mordfantasien stehen für die Eindrücke der vergangenen Wochen. Verantwortliche Po­li­ti­ke­r:in­nen dackeln mitsamt ihrer Behörden einem immer selbstbewusster und radikaler auftretenden Mix aus Geg­ne­r:in­nen der Coronapolitik und Ver­tre­te­r:in­nen rechtsextremer Milieus hinterher. Aufhalten? Regeln durchsetzen? Das geschah nur vereinzelt. (…) Rechtsextreme Ideologie ist Umsturzideologie, Rechtsextreme suchen immer Verbündete. Die personell oft gar nicht so scharf zu trennenden Gruppen verbinden sich aufgrund ihrer gemeinsamen Wahrnehmung, dass es nötig und möglich sei, ein System zu stürzen. „Die wollen total zerstören“, sagte mir eine Reporterin, die in Sachsen viel unterwegs ist. Das erlernte Verhalten und die erprobten Strukturen der Umsturzgläubigen verschwinden nicht von selbst – und ­sicher nicht durch gutes Zureden. Selbst das jetzt diskutierte härtere Vorgehen gegen Telegram oder härteres Durchgreifen der Polizei in einigen Städten wird nichts grundlegend ändern. Wenn das jahrzehntelange Verharmlosen und Normalisieren von Rechtsextremen in Teilen der ostdeutschen Politik nicht endlich aufhört, werden jene, mit denen man so unbedingt das Gespräch sucht, eines Tages vor der eigenen Haustür stehen.

via taz: Gewaltbereite Netzwerke im Osten – Aufgeilen am schwachen Staat