Noch immer beschäftigt #allesdichtmachen die Öffentlichkeit. Nun zeigt sich: Die Aktion war ähnlich akribisch geplant wie eine Tatort-Produktion. Auch wenn es anfangs wie eine dezentrale Bewegung aussah: #allesdichtmachen hatte einen Kopf. Und sie war professionell geplant. Das ergibt eine Spurensuche, eine Woche nachdem die Aktion online ging. Dabei tauchen immer neue Unstimmigkeiten auf. „Ich entschuldige mich nicht!“ Mit brauner Kappe und gestreiftem Shirt ist der Berliner Regisseur Dietrich Brüggemann per Video ins Fernsehstudio zugeschaltet und erklärt die Kunstaktion #allesdichtmachen. Die Clips seien „Parodien auf die Art der Kommunikation der Bundesregierung“. Weder könne er etwaige Missverständnisse nachvollziehen: „Es ist vollkommen klar, was wir meinen.“ Noch will er auf Nachfrage Fehler eingestehen. Schließlich sei es eine Gruppenaktion gewesen, darum wolle er nicht für den Rest sprechen. Doch so ganz stimmt das nicht. Wie vieles an seiner Version. Am vergangenen Donnerstag um 18 Uhr ging die Internet-Aktion #allesdichtmachen online, eine als Satire verkappte Kritik an den Corona-Schutzmaßnahmen der Bundesregierung. 52 Schauspieler:innen hatten teils in hübsch ausgeleuchteten Altbauwohnungen Videos gefilmt, in denen sie ironisch bis polemisch die staatliche Corona-Politik kommentierten. (…) Die offiziöse, in Wortwahl und Haltung moderate Version findet sich auf der Webseite. Anstelle der Videos ist dort seit einigen Tagen ein Statement zu finden, das sich an einer rhetorisch höchst akrobatischen Übung versucht: zurückrudern und gleichzeitig in die Offensive gehen. Man verbitte sich, so die Verfasser:innen des Schreibens, in eine Ecke mit „Rechten, Verschwörungstheoretikern und Reichsbürgern“ gestellt zu werden. Dass „die falsche Seite“ dieselben Argumente vorbringt, zeige allenfalls, „daß (sic!) der Diskurs in eine Schieflage geraten ist“. Es gehe um die Art, „wie Staat und Bürger interagieren“. Gleichzeitig wird in Robin-Hood-Manier betont, dass man im Namen der „Verängstigten, Verunsicherten und Eingeschüchterten“ spreche, „die verstummt sind”. (…) Kleine Gruppe von Aktivisten mit undurchsichtiger Agenda Brüggemann hat sich von den #allesdichtmachen-Initiatoren am deutlichsten zur Kritik an der Kampagne geäußert. Auch der Schauspieler Jan Josef Liefers gab sich als einer der Macher zu erkennen. Sein Auftritt in der Talkshow „3 nach 9“ am Freitag ließ keinen Zweifel, dass er weiter hinter der Aktion steht. Anders als „Tatort“-Kolleg:innen wie Ulrike Folkerts, Richy Müller, Martin Brambach und Meret Becker, die ihre Videos inzwischen zurückgezogen haben. Beziehungsweise vor einem „Shitstorm“ eingeknickt sind, wie auf der Website behauptet wird. (…) In „3 nach 9“ prangerte Liefers die „Intransparenz“ der Corona-Politik an. Da überrascht es, wie klandestin gleichzeitig die Strukturen hinter #allesdichtmachen sind. Laut Webseite zeichnet der Filmproduzent Bernd Katzmarczyk alias Bernd Wunder als Geschäftsführer verantwortlich. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass Katzmarczyk über die Kontakte für solch eine Aktion verfügt. Thomas Bohn behauptet im Interview mit der „Welt“, für die er auch als Autor tätig ist, er sei von einem „Regie-Kollegen“ angesprochen worden. Hierbei kann es sich nur um Brüggemann handeln. Weil ihm die Konzepte gefielen, habe Bohn selbst Schauspieler kontaktiert. Im Interview sagt er auch, dass er über die Beteiligung von Katzmarczyk nicht informiert gewesen sei. Katzmarczyk ist im vergangenen Sommer mit Querdenker-Sprüchen aufgefallen, auf seinem inzwischen privaten Instagram-Account verglich er das Virus mit einer Grippe. Er sprach von „Panikmache“ und nannte Befürworter der Maßnahmen „Coronazis“. Mittlerweile behauptet er, sich von seinen früheren Aussagen zu distanzieren. Doch darüber, wie Katzmarczyk zu dem Projekt hinzugestoßen ist, hüllen sich die Beteiligten in Schweigen. Die Frage, ob sich Bohn, der nach eigener Aussage die Gefährlichkeit des Virus nicht verharmlost, von Brüggemann hintergangen fühle, möchte er nicht beantworten. Aufgrund der kritischen Berichterstattung über #allesdichtmachen, so Bohn, will er mit dem Tagesspiegel nicht reden. Auch Brüggemann reagierte auf Nachfragen nicht. So viel zur Meinungsfreiheit. (…) Im Gespräch mit dem Tagesspiegel berichtet er, dass Brüggemann und die Regisseurin Jeana Paraschiva federführend bei der Durchführung gewesen seien. Demnach verschickten sie via Email eine Projektskizze, mit der sie die geplante Aktion erklärten. Im Anhang der Mail fand sich ein Dokument mit Texten, die wirkten, als seien sie größtenteils von Brüggemann verfasst worden. Der Angeschriebene konnte sich aus diesem Konglomerat ein Statement aussuchen, das er später vor der Kamera vortragen würde. Ähnliches berichten die Schauspieler Richy Müller und Kida Ramadan. Auch ein Plan mit Drehorten und Zeitslots lag bereits zu diesem Zeitpunkt vor. An einem Wochenende im April sollten die Clips aufgenommen werden. Die Aktion #allesdichtmachen war so minutiös geplant wie eine „Tatort“-Produktion.
via tagesspiegel: Wer steckt hinter #allesdichtmachen? Eine Spur führt ins Querdenker-Milieu