Eigentlich wollte die AfD auf ihrem Parteitag beweisen, dass sie in der Sozialpolitik mit Inhalten punkten kann. Doch es kam anders. Parteichef Meuthen holte zu einer scharfen Rede gegen seine parteiinternen Widersacher aus. Seinen ganzen Frust packte der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland in diesen einen Satz: “Wir haben einen Rentenparteitag, keinen AfD-Bashing-Parteitag”, schimpfte Gauland im ARD-Interview. Und drückte damit das aus, was zumindest Teile der Partei aufwühlt, seit Parteichef Jörg Meuthen am Mittag die Rednertribüne in Kalkar betrat. Da wollte die AfD endlich mal beweisen, dass sie eben nicht nur mit sich selbst beschäftigt ist, sondern auch mit Inhalten. Mit der Rente zum Beispiel. Durchaus widmete sich die Partei in einer stundenlangen Debatte der Sozialpolitik. Stimmte über dutzende Änderungsanträge ab. Rang mit der Frage, ob man bei der Rente eher marktradikal auf private Vorsorge setzen soll oder doch eher auf den fürsorglichen Staat. Mit der Verabschiedung eines Kompromisses schließt die AfD nun eine im Parteiprogramm jahrelang klaffende Lücke. Doch dafür tun sich Lücken an anderer Stelle umso sichtbarer auf. So recht zu elektrisieren vermochte die Debatte ohnehin kaum. Heißer und emotionaler diskutiert wurde da hinter den Kulissen längst etwas anderes: Der Frontalangriff von Parteichef Meuthen auf die Parteirechte. Eben das, was Gauland als “AfD-Bashing” bezeichnete.
Zu große Nähe zur “Querdenken”-Bewegung wirft Meuthen Teilen der AfD vor. Sie möge sich hüten, mit falschen Begriffen zu hantieren: Vom “Ermächtigungsgesetz” zu sprechen im Zusammenhang mit dem Infektionsschutzgesetz sei ebenso falsch wie die der Begriff der “Corona-Diktatur”. “Wir leben in keiner Diktatur, sonst könnten wir diesen Parteitag wohl auch kaum abhalten”, sagte Meuthen. Diese Sätze zielen auf die Ostverbände, die im Widerstand gegen Corona-Schutz-Maßnahmen ein Reservoir an Wählern wittern. Und es sind Sätze, die den Ehrenvorsitzenden Gauland ins Visier nehmen. Der durchaus schon mit Blick auf die Bundesregierung von einer “Corona-Diktatur auf Widerruf” gesprochen hatte. Die Wut in den sozialen Netzwerken bricht sich bereits Bahn: In den einschlägigen Foren der Parteirechten, des ehemaligen “Flügels”, schwellen die “Meuthen-muss-weg”-Rufe bereits wieder an. Schon nach dem Rauswurf von Andreas Kalbitz, dem engsten Vertrauten von AfD-Rechtsaußen Björn Höcke, hatte Meuthen sich wüste Beschimpfungen anhören müssen. Er wolle die Partei spalten, behaupteten seine Gegner. Damit ist nun das passiert, wovor viele in der AfD eindringlich gewarnt hatten: Die tiefen Gräben, die Schluchten, die diese Partei durchziehen, sind in Kalkar offen zutage getreten. Dabei gilt eigentlich für die Rechtspopulisten, ebenso ge- wie entschlossen in das Wahljahr 2021 zu gehen. Doch aus Sicht von Parteichef Meuthen macht es sehr viel Sinn, diese Gräben nicht künstlich zu übertünchen und so zu tun, als gäbe es sie nicht: Auch das zielt auf Gauland, der stets betont, die Einheit der Partei habe höchste Priorität. Doch Meuthen, der in der Vergangenheit mit jenen, die er jetzt bekämpft, bisweilen auch paktierte, macht sich angesichts der “Rumkrakeeler”, wie er sie nennt, ernsthaft Sorgen um das Image der AfD.
via tagesschau: Parteitag der AfD Meuthens Frontalangriff