Im “Revolution Chemnitz”-Prozess stellt sich die Frage: Warum hatte der sächsische Verfassungsschutz keine Ahnung von den Plänen der Neonazis? Viele Erkenntnisse konnte der Behördenpräsident nicht preisgeben. Ohne Christian K. säßen sie nicht hier, im Saal des Hochsicherheitstrakts des Oberlandesgerichts Dresden, gemeinsam mit ihm angeklagt wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung. Das dürfte den sieben überzeugten Neonazis inzwischen klar sein. Christian K. war es, der in ihrem Hass, ihrer Wut, ihrem Unmut das Potential für den großen Umsturz witterte; der sie antrieb, nicht länger nur zu pöbeln und zu schimpfen, “nicht nur Worte sprechen zu lassen, sondern auch Taten”. Nach Ansicht der Bundesanwaltschaft gründete Christian K. deshalb am 10. September 2018 beim Messenger-Dienst Telegram eine Chatgruppe, die er “Planung zur Revolution” nannte. Er lud die sieben Männer ein, die wie er zu einer ganz besonderen Szene Sachsens gehören: gewaltbereit, einschlägig vorbestraft, stramm rechts. (…) Christian K. zog 2006 nach Hessen, über das Jobcenter hatte das Amt entsprechende Sozialleistungen veranlasst. Der gebürtige Sachse aber kehrte nach wenigen Wochen zurück in seine Heimat. “Er gab an, sich nicht lösen zu können”, sagt der Verfassungsschutzchef. Christian K. landete in den Jahren danach vor Gericht – wegen Raubes, Betruges, Volksverhetzung und Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Zehn Jahre später habe sich Christian K. aus der Haft als V-Mann angeboten, mit einem sogenannten Selbstanbieterschreiben, zwei handschriftliche Seiten, auf denen er auf seine Expertise zu rechtsextremen Strukturen verwies. Demnach könne er Details über die verbotenen Nationalen Sozialisten Chemnitz (NSC), die verbotene Vereinigung “Sturm 34” und über die Hooligan-Gruppierung HooNaRa (Hooligans Nazis Rassisten) um den Chemnitzer FC ausplaudern. Meyer-Plath, seit mehr als sechs Jahren im Amt, entschied sich mit seinen Kollegen gegen eine Zusammenarbeit. Vor Gericht sagt er, Christian K. habe sich als “sehr unzuverlässig” erwiesen, inzwischen eine “kriminelle Karriere” eingeschlagen und seine Informationen über die Szene seien veraltet gewesen (…) Ab 2017 aber hatte der Verfassungsschutz Christian K. über Polizeimeldungen wieder im Visier: Der stark tätowierte Neonazi wandelte auf alten Pfaden. Die Behörde habe ihn als Initiator der Facebook-Seite “Revolution Chemnitz ANW” (Alternativer Nationaler Widerstand) in Verdacht gehabt, so Meyer-Plath. Trotzdem: Erst in einer der wöchentlichen Freitagsrunden von Landeskriminalamt und Verfassungsschutz Sachsen, am 28. September 2018, sei sein Amt schließlich über die Chatgruppe junger Neonazis informiert worden, die angeblich die “Revolution Chemnitz” geplant hatten. Ihr mutmaßlicher Anführer: Christian K. Für den geplanten Umsturz wollte er nach Ansicht des Generalbundesanwalts scharfe Waffen besorgen.
via spiegel: Prozess im Fall “Revolution Chemnitz” Der denkwürdige Auftritt des Verfassungsschutzchefs