Der Bauernverband hat sich zwar distanziert – das stört die rechte bis neonazistische Szene aber wenig. Man hofft auf ein Ende der Ampelkoalition, Neuwahlen und einen Umsturz. Am Donnerstag überschlugen sich die Ereignisse: Die Bundesregierung gab bekannt, dass sie geplante Subventionskürzungen und das Ende einiger Steuerbefreiungen für land- und forstwirtschaftliche Betriebe teilweise ganz zurücknehmen, teilweise aber auch nur in mehreren langfristigen Schritten umsetzen will. Nahezu zeitgleich blockierten über hundert Landwirte die Rückreise von Wirtschaftsminister Robert Habeck nach einem privaten Kurzurlaub. Sie belagerten am Donnerstagabend den Anleger des Fährhafens Schüttsiel. Die Landwirte ließen Habeck nicht an Land, wollten zu Beginn sogar die Fähre entern. Die Stimmung war so aufgeheizt, dass die Polizei kurzzeitig Pfefferspray einsetzen musste. Am Ende musste die Fähre wieder ablegen – an Bord aus Sicherheitsgründen immer noch der Vizekanzler. Auslöser für die Protestaktion waren Postings in den sozialen Medien sowie auf Telegram-Kanälen und in Chats auch der extrem rechten Szene gewesen. Darin war zum Teil detailliert über Habecks Rückreise informiert sowie verklausuliert oder ganz offen zu Störaktionen aufgerufen worden. In eben jenen Filterblasen feierte die Protestszene später diesen Erfolg der Landwirte euphorisch. Auf Facebook postete aber auch die AfD Euskirchen hämisch: „Habecks Urlaub ist vorbei. Das Urlaubsfeeling dürfte schnell verflogen sein!“ An der Spitze des sich weiterhin bürgerlich darstellenden Kreisverbandes stehe ein Unternehmer, ein Lehrer an einem erzbischöflichen Gymnasium und ein Oberstleutnant a.d. (…) Längst scheinen sich die Bauernproteste durch Trittbrettfahrer aus dem bürgerlichen und extrem rechten Spektrum verselbstständigt zu haben. Die Macht der Influencer Der Bauernverband wird also die Geister, die er rief, nicht mehr los – wenngleich er sich förmlich davon distanziert. Unterschätzt zu haben scheint man die Dynamik und neuen Netzwerke von Influencern und Medienaktivisten aus dem Bereich der Landwirtschaft oder dem unternehmerischem Umfeld. Deren neu gewonnene Macht und Reichweite in den sozialen Netzwerken war schon bei der Fluthilfe im Ahrtal spürbar. Jener Kreis aus Unternehmern und Aktivisten ist nicht nur mit Bauern und deren Verbänden verwoben, besagter Kreis hat zuweilen selbst die Nähe zum rechten Spektrum nicht gescheut oder sogar gesucht. Angesichts der kurz vor Weihnachten einsetzenden Bauerndemonstrationen und Straßenblockaden war das aus der Pandemie hervorgegangene Protestmilieu aus Verschwörungsgläubigen, Querdenkern, Rechten bis Rechtsextremen, AfD-Anhängern und Reichsbürgern zunächst völlig euphorisiert. Das in Westdeutschland eher isolierte und im Osten deutlich schlagkräftigere Protestspektrum vermittelt seitdem das Bild, man wolle sich an den ab dem 8. Januar weiter anwachsenden Bauernprotesten beteiligen. Teilweise hofft man, diese in einigen Regionen zu majorisieren, die Deutungshoheit zu gewinnen und äußert erneut Umsturzfantasien. (…) Diese Gemengelage ist nicht zu unterschätzen, das gemeinsame Feindbild bei allem ist die Bundesregierung und die Ampelkoalition. Hauptgegner sind aber SPD und die Grünen. Da weite Teile der Bevölkerung und insbesondere ein sich radikalisierender Mittelstand sowie eine ebensolche Mittelschicht Kanzler Olaf Scholz, Außenministerin Annalena Baerbock und Habeck „weghaben“ wollen, hofft das Protestmilieu und die rechtsextreme Szene einmal mehr – siehe die Proteste gegen die Corona-Schutzimpfungen und die Impfpflicht – breite Bevölkerungsschichten ansprechen zu können. „Bauernaufstand“ gegen „Great Reset“ Im rechten bis rechtsextremen Spektrum mobilisieren nahezu alle Gruppen, Akteure und Parteien zu den Bauernprotesten, zum Generalstreik und zu Solidaritätsaktionen. So mobilisierte die ehemalige NPD in Lüneburg mit dem Bild eines vermummten Aktivisten der „Kampfgemeinschaft Lüneburger Heide“ und dem Hashtag aka Slogan, es gelte, nun die Lüneburger Heide zu „verteidigen“. Einer der führenden Identitären, Martin Sellner, griff eine zunächst aus dem verschwörungsideologischen Spektrum verbreitete Parole auf. Der „Bauernaufstand“ richte sich gegen den „Great Reset“, so Sellner via Telegram. Der Cottbuser AfD-Chef Jean-Pascal Hohm mobilisiert via Instagram zu einem Autokorso und einer Demonstration am 8. Januar. Motto: „Ampel abschalten[!]“. In AfD-Kreisen wird zudem ein ikonisches Sharepic verbreitet, das große Traktor-Kolonnen und jubelnde Menschenmassen am Straßenrand zeigt. Menschen und landwirtschaftliches Gerät sind mit zahlreichen Deutschlandfahnen ausstaffiert. Motto: „Der Tag der Wende! Deutschland steht auf!“ Der demonstrationserprobte AfD-Politiker Karsten Hilse, vor Jahren noch als Polizeibeamter im Einsatz, will dem sächsischen Landtagspräsidenten geschrieben haben. Er könne nicht zum Neujahrsempfang am 8. Januar kommen, weil er dann „mit den Bauern in Berlin auf der Straße“ sei.
via endstation rechts: Bauernproteste und Umsturzfantasien Das Rechtsaußen-Spektrum mobilisiert auf breiter Front zur Unterstützung der Bauernproteste
siehe auch: Rechtsextreme unterwandern Bauernproteste – Verband schlägt Alarm. Den Angriff auf Wirtschaftsminister Habeck feierten sie auf Telegram. Bereits seit Wochen unterwandern Rechtsextreme den Protest der Bauern. Die Bauernproteste werden bundesweit von Rechtsextremen unterwandert. Auf Telegram feiern sie den Angriff auf die Fähre, mit der Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Donnerstag (4. Januar) seinen Heimweg aus dem Urlaub auf der Hallig Hooge in Schleswig-Holstein antreten wollte. Seit Wochen versuchen diverse Gruppen, die Proteste zu vereinnahmen, das Redaktionsnetzwerk Deutschland veröffentlichte am Freitag einen groben Überblick. Die in Teilen rechtsextreme AfD mobilisierte zuletzt zum „Generalstreik“, die rechtsextreme Splitterpartei „Freie Sachsen“ will sich mit eigenen Protestveranstaltungen beteiligen. Immer wieder gibt es Bezüge zur völkisch-nationalistischen Landvolkbewegung aus der Weimarer Republik. (…) Der Verein „Land schafft Verbindung“ (LSV) verbreitete, dem RND nach, ein Protestaufruf-Video, in dem es hieß: „Ein Schachspiel beginnt mit dem Bauer und endet erst, wenn der König fällt“. Klingt nach den „Umsturzfantasien“ von denen sich der Präsident des Deutschen Bauernverbandes Joachim Rukwied bereits im Dezember abgrenzte. LSV grenzte sich laut dem Bericht zwar immer wieder von Rechtsextremen ab, doch die Erzählungen überschneiden sich. Die AfD mobilisiert zu einem „Generalstreik“. Der thüringische Landesverband, geführt von Björn Höcke, macht als Ziel „autoritäre Wohlstandsvernichter in Erfurt und Berlin“ aus. So schrieb es die AfD Thüringen vor Weihnachten in einem Facebook-Post. In der verschwörungsideologischen Szene auf der Messenger-App Telegram fällt die rechtsextreme Splitterpartei „Freie Sachsen“ auf: Die aus den Protesten gegen die Corona-Schutzmaßnahmen hervorgegangene Partei kündigte eigene Proteste an. Wie eine Drohung liest sich die Reaktion auf den Sturm auf die Fähre, die Habeck an Land bringen sollte: Es werde „immer ungemütlicher, wenn Vertreter der Regierung auf ihre Bürger treffen“, stand unter einem Video vom versuchten Sturm auf den Anleger. Auch im Kanal des Hallenser Rechtsextremisten Sven Liebich wurde eines der Videos verbreitet. Auch Bezüge zum Reichsbürgermilieu zeigten sich am Freitagvormittag in lokalen Telegram-Gruppen in Schleswig-Holstein; Generalstreik? Rechtsextreme und Querdenker wollen Bauernprotest kapern. In den letzten Wochen haben Bauern bundesweit gegen die Politik der Ampel-Regierung protestiert, unter anderem in Berlin und Stuttgart. Am 8. Januar 2024 sollen die Proteste fortgesetzt werden, sollte die Regierung den Forderungen der Bauern nicht nachgeben. Rechtsextremisten und Querdenker versuchen, diese Proteste für ihre Zwecke zu kapern. Nachrichten von einem angeblich geplanten Generalstreik machen auf Whatsapp, Facebook, Telegram & Co. die Runde. (…) Die Drohung des Bauernverband-Präsidenten wurde für einige Menschen zum Anlass genommen, über einen angeblichen “Generalstreik” im Januar zu sprechen. Aufrufe dazu werden seitdem über Whatsapp, Telegram, Facebook, X, TikTok und andere soziale Medien verbreitet. Der Tenor: Auch andere Berufsgruppen sollen die Bauern im Protest unterstützen, somit werde am 8. Januar das Land “lahmgelegt”. Was haben Rechtsextremisten damit zu tun? Bereits in den letzten Wochen waren auf Demos der Bauern vereinzelt rechtsextreme Symbole zu sehen gewesen. In Stuttgart zeigten Bauern beispielsweise die Fahne der rechtsextremen Landvolkbewegung, die als ein Wegbereiter der NSDAP gilt. Das berichteten unter anderem taz und Stuttgarter Nachrichten. Auch Logos rechtsextremer Parteien wie der AfD oder der ehemaligen NPD (“Die Heimat”) wurden gesichtet. Die rechtsextreme Szene mobilisiert auch jetzt zum “Generalstreik”.