Eine Schulleiterin in Wilhelmshaven rief ohne Benachrichtigung der Eltern die Polizei, weil ein schwarzes Mädchen eine Freundin fotografiert hatte. Die Geschichte, die Jessica Obame erzählt, klingt unglaublich. Aber sie ist wahr, das niedersächsische Kultusministerium hat sie bestätigt, ebenso die Polizei Wilhelmshaven, die neben der Grundschule der neunjährigen Tochter von Jessica Obame eine sowohl tragende als auch unrühmliche Rolle darin spielt. Der Name des Kindes sowie der der Schule werden auf Wunsch der Mutter nicht genannt, damit das Mädchen noch eine ungestörte Schulzeit hat. Im Sommer wechselt sie in die fünfte Klasse. Obame möchte, dass ihr eigener Name und ihr Gesicht zu sehen sind. Damit Menschen, die keine rassistische Diskriminierung erleben, begreifen, was das bedeutet. Denn Jessica Obame, ihre fünf Kinder zwischen neun Monaten und elf Jahren sowie deren Vater sind schwarz. Es fällt schwer, sich vorzustellen, dass einer Julia Meier und ihrer Tochter Greta Ähnliches geschehen wäre wie Obame und ihrer Tochter. (…) Dann berichtete ihr das Kind, wie sie nach Schulschluss von ihrer Klassenlehrerin in einen Raum geführt wurde, in dem zwei Polizist:innen – eine Frau und ein Mann -, die Schulleiterin sowie eine Mutter und ein Vater von zwei Mitschülerinnen auf sie warteten. Es ging um ihren Fotoapparat, eine rosafarbene „Kidizoom“; eine Kamera für Kinder, ohne Internet-Verbindung oder die Möglichkeit, Fotos herunterzuladen, wie es mit jedem Smartphone möglich ist. Ohne das Wissen der Mutter hatte Ada die Kamera regelmäßig freitags mit in die Schule genommen, um dort in der Sport-Umkleide sich und ihre Freundin zu fotografieren. Die zwei Mitschülerinnen, deren Eltern mit im Raum waren, hätten geglaubt, Ada hätte auch sie fotografiert, erzählt Jessica Obame. Zum Beweis, dass dies nicht stimmte, zeigte Ada ihnen die Bilder. „Sie weiß, dass sie andere nicht ohne deren Einverständnis fotografieren darf.“ Dennoch informierten die beiden Mädchen ihre Eltern, die sich zuvor bei der Schulleiterin darüber beschwert hatten, dass Ada manchmal die Kamera dabei hatte. Weder die Sportlehrerin noch die Klassenlehrerin hätten davon gewusst, sagt Jessica Obame. Und was tat die Schulleiterin? Anstatt mit dem Kind oder noch besser der Mutter zu sprechen, rief sie die Polizei – vermutlich auf Druck der anderen Eltern, so ist es gegenüber Jessica Obame dargestellt worden. Die Polizei hielt das Anliegen für so dringlich, dass sie mittags in die Schule kam und sich die Kamera zeigen ließ. „Zu diesem Zeitpunkt stand im Raume, dass sich möglicherweise kompromittierende Bilder auf der Schülerkamera befinden könnten, welche das 9-jährige Kind gefertigt haben soll“, schreibt eine Sprecherin der Polizei Wilhelmshaven der taz. Es gab also den Verdacht, dass die Kinder sich oder andere nackt fotografiert hatten. Bis zu diesem Zeitpunkt habe die Polizei korrekt im Sinne der Gefahrenabwehr gehandelt, sagt der Berliner Polizeirechts-Professor Guido Kirchhoff. „Sie ist gekommen, um einen Sachverhalt aufzuklären.“ Doch spätestens in dem Moment, in dem die Polizist:innen sich von dem Kind die Kamera samt Aufnahmen zeigen ließen, werde es problematisch. Denn das sei eine Durchsuchung. Da die Kamera ersichtlich nicht mit dem Internet verbunden war und damit kein sofortiger Handlungsbedarf bestand, sei es zumindest „sehr ungewöhnlich“, hier nicht die Eltern des Kindes einzubeziehen und ein starker Eingriff in dessen Rechte. Anders hätte der Fall gelegen, wenn die Kamera technisch so ausgestattet wäre, dass die Aufnahmen hätten weiter verbreitet werden können, sagt Kirchhoff. „Unter solchen Umständen hätte man mit Dringlichkeit argumentieren können.“ Als die Polizist:innen dann auch noch sahen, dass die Fotos harmlos waren, hätte deren Einsatz enden müssen, sagt der Jurist von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. „Wenn es keine Gefahrenlage gibt, darf die Polizei niemanden weiter festhalten.“ Fragen nach häuslicher Situation Doch die Polizist:innen blieben und belehrten die Neunjährige. „Das Kind wurde als Besitzerin der Kamera nunmehr von den Beamt:innen in einem folgenden Gespräch rein präventiv dahingehend sensibilisiert, dass eine Mediennutzung jeglicher Art Gefahren birgt, die mitunter nicht sofort offensichtlich sind“, schreibt die Sprecherin der Polizei Wilhelmshaven. „Das ist ein Eingriff ins Erziehungsrecht der Eltern“, sagt Guido Kirchhoff dazu. Es habe überhaupt keinen Anlass für eine Standpauke gegeben, da das Mädchen sich in keiner Weise „falsch“ im Sinne des Gesetzes verhalten hatte. Strittig ist, ob die Polizist:innen rechtswidrig weitere Daten erhoben haben. Ihre Tochter habe ihr erzählt, die Beamt:innen hätten auch nach der häuslichen Situation gefragt, sagt Jessica Obame. „Sind Mama und Papa noch zusammen?“ Außerdem seien die Eltern der anderen beiden Mädchen bei dem Gespräch dabei gewesen – was gegen Datenschutzverordnungen verstößt. Die Polizei, gegen die Obame Dienstaufsichtsbeschwerde eingelegt hat, widerspricht dieser Darstellung.
via taz: Polizei und Schule kriminalisieren Kind :Rassismus an der Grundschule