Am 23. März 1933 stemmte sich der Vorsitzende Otto Wels im Namen der ganzen SPD-Fraktion gegen das Ermächtigungsgesetz der Nazis. Bis heute gibt es kein anderes Datum in ihrer an Dramatik reichen Geschichte, auf das Sozialdemokraten so stolz sind. Mit dem Gesetz „zur Behebung der Not von Volk und Reich“ vom 23. März 1933 schaffte sich die Demokratie in Deutschland endgültig ab. 444 Abgeordnete stimmten dafür, oft aus Angst um ihr Leben, etwa der spätere Bundespräsident Theodor Heuss und der christliche Gewerkschafter Jakob Kaiser. 94 Abgeordnete und damit die gesamte SPD-Fraktion, stimmten dagegen, obwohl sie wussten, was das für sie und ihre Familien bedeuten würde. Das Ende der Demokratie Der SPD-Reichstagsabgeordnete Wilhelm Hoegner, nach dem Krieg bayerischer Ministerpräsident, war dabei und schrieb nach dem Krieg in seinen Erinnerungen, diese Rede sei „nach Form und Inhalt ein Meisterwerk, ein letzter Gruß an das verblichene Zeitalter der Menschlichkeit und des Menschenrechts.“ Otto Wels war eigentlich kein großer Redner, doch dieser leidenschaftliche Appell  für Freiheit und Humanität ist bis heute unvergessen und hat den Weg in die Schulbücher gefunden. Unterbrochen von ständigen Pöbeleien der Nazi-Politiker und der zahlreich – illegal – im Saal vertretenen SA-Männer, wagte es Wels, Sätze zu sagen wie diesen: „Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten.“ Und dann dieser pathetische Gänsehaut-Satz, den viele Demokraten bis heute zitieren können: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“ Adolf Hitler schäumte. Flucht und Verfolgung Nur 94 von 120 SPD-Abgeordneten hatten es an diesem Tag in die Krolloper geschafft, die nach dem Reichstagsbrand als Parlament diente. Die anderen waren von grölenden SA-Horden am Betreten gehindert worden, waren schon verhaftet, auf der Flucht oder ins Krankenhaus geprügelt worden. Der schwer verletzte, im Januar 1945 ermordete Widerstandskämpfer Julius Leber zum Beispiel war direkt vor der Krolloper in Fesseln abgeführt worden. Die 81 Abgeordneten der Kommunistischen Partei waren schon vor diesem 23. März verhaftet worden, so weit sie nicht untertauchen konnten. Man hatte ihnen die Schuld am Reichstagsbrand in die Schuhe geschoben.

via vorwärts: Otto-Wels-Rede im Reichstag: Nicht die Demokratie – aber die Ehre gerettet

siehe auch: ALS DIE DEMOKRATIE SICH SELBST ABSCHAFFTE – VOR 90 JAHREN: NUR DIE SPD STIMMTE GEGEN DAS ERMÄCHTIGUNGSGESETZ Willy Brandt streifte in seinen vielen Reden auf ebenso vielen Parteitagen seiner SPD gelegentlich die bewegte Geschichte der ältesten deutschen Partei und kam auf deren Widerstand gegen die Nazi-Diktatur zu sprechen. Und wenn er dann den Namen seines Amtsvorgänger Otto Wels erwähnte, kämpfte der große Sozialdemokrat gelegentlich mit den Tränen, ehe er den berühmt gewordenen Satz von Otto Wels bei dessen historischer Rede in der Berliner Kroll-Oper am 23. März 1933 zitierte: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“ Mit diesen Worten hatte Wels einst das Nein der SPD zu Hitlers Ermächtigungsgesetz begründet, das die Weimarer Republik im Grunde abschaffte und dem braunen Diktator den Freibrief ausstellte für die Alleinherrschaft der Nazis. Der Historiker Heinrich August Winkler, selber Mitglied der Partei, hat vor vielen Jahren das Verhalten der SPD im Spiegel-Interview gewürdigt: „Die SPD kann stolz sein darauf, dass sie als einzige der demokratischen Parteien der Weimarer Republik dem Ansinnen Hitlers getrotzt hat. Die SPD hat damit nicht nur ihre eigene Ehre, sondern die der ersten deutschen Demokratie gerettet.“ Man muss sich das gespenstische Bild in der Reichshauptstadt Berlin 1933 vorstellen, eine gewaltbereite Stimmung, die aufgeladene Spannung in jenen Tagen, überall SA-Leute in ihren braunen Unformen, Angst verbreitend, die Nazis auf dem Sprung zur alleinigen Macht. Als der greise Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannte, folgten noch in der Nacht danach die ersten Verhaftungen. Am 27. Februar des Jahres brannte der Reichstag nieder, ungeklärt bis heute die oder der Täter, was die Nazis selber mit einschließt. Einen Tag nach dem verheerenden Brandanschlag setzte die „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ die Grund- und Bürgerrechte weitgehend außer Kraft. „Schutzhaft“ für Ossietzky Die Nazis nutzten die Gelegenheit zu einer wahren Terror-Welle gegen Kommunisten und Sozialdemokraten, die Hitler als „November-Verbrecher“ oder Agenten Moskaus beschimpfte. Er warf ihnen vor, das deutsche Volk durch ihren „Klassenkampf“ spalten und in den Bürgerkrieg stürzen zu wollen.(Zitiert nach Deutsche Sozialdemokratie in Bewegung).  In „Schutzhaft“ genommen wurden u.a. Carl von Ossietzky, Herausgeber der Weltbühne, die Schriftsteller Erich Mühsam und Ludwig Renn, der „rasende Reporter“ Egon Erwin Kisch. Wenige Tage später wurden der Vorsitzende der KPD, Ernst Thälmann und einige seiner Mitarbeiter in einem Geheimquartier in Berlin-Charlottenburg festgenommen.(Heinrich August Winkler: Geschichte des Westens)    Hitler wollte alle Macht, möglichst auf einem Wege, der zumindest den Anschein der Legalität erweckte. Dafür brauchte er ein Ermächtigungsgesetz und dafür war die große Mehrheit erforderlich. Bei den letzten halbwegs freien Wahlen vom 5. März 1933 war die NSDAP mit rund 44 Prozent zwar stärkste Kraft geworden, zur Zwei-Drittel-Mehrheit(erforderlich für eine Verfassungsänderung)fehlten den Nazis aber die Stimmen der Konservativen. Die braune Diktatur wäre also zu verhindern gewesen. Der Wahlkampf war von Hitlers Partei brutal geführt worden. Auf Plakaten war offen zur Gewalt aufgefordert worden. „Zerstampft den Kommunismus!“ Hieß es unverblümt. Und: „Zerschmettert die Sozialdemokratie!“ Der Historiker Karl-Dietrich Bracher hat die Wahl vom 5. März später als „halbfrei“ eingestuft. Die SPD erreichte 18,3 vh der Stimmen, über 7 Millionen Bürgerinnen und Bürger hatten trotz allem für die SPD gestimmt. Die Kampffront Schwarz-Weiß-Rot, ein Zusammenschluss von Deutschnationalen, Stahlhelm und anderen Konservativen, darunter Vizekanzler von Papen, kam auf 8 Prozent, auf das Zentrum entfielen rund 11 Prozent der Stimmen, auf die bayerische Volkspartei 2,7 Prozent. Der Tag von Potsdam Hitler suchte den Schulterschluss mit den alten preußischen Eliten. Beim „Tag von Potsdam“ in der Garnisonkirche am 21. März kam es zum berühmt-berüchtigten Handschlag zwischen Hitler und dem Reichsmarschall, Reichspräsident Hindenburg, ein riesiger Propaganda-Erfolg. Winkler beschreibt die Zeremonie in seinem großen Geschichtswerk: „Die Feierlichkeiten waren darauf angelegt, Hitlers Bekenntnis zur Verbindung von alter Größe und junger Kraft zu unterstreichen…Als Hindenburg in der Garnisonkirche allein in die Gruft zum Sarg Friedrichs des Großen hinunterstieg, um stumme Zwiesprache mit dem König zu halten, trat bei vielen Deutschen die gleiche patriotische Rührung ein, die seit Jahren die Fridericus-Filme aus Alfred Hugenbergs Filmkonzern, der Ufa, hervorriefen.“ So weit die Rührung. Zwischendurch griffen Hitlers SA-Schlägerbanden das Vorwärts-Gebäude in der Berliner Lindenstraße an und „räucherten es aus“, es folgten das Verbot des Reichsbanners. Die SA jagte mit ihrem Auftreten auf der Straße und in Kneipen vielen Menschen Ängste ein, Prügeleien, von Hitlers Freunden ausgelöst, waren an der Tagesordnung.  All das reichte Hitler aber nicht. Am 23. März holte er sich die „Scheinrechtsgrundlage“(zitiert nach Deutsche Sozialdemokratie in Bewegung) für seine totalitäre Herrschaft. Das Parlament war zum Zeitpunkt der Debatte nur noch in Rumpf-Form vorhanden, die Kommunisten waren verboten, ihre 81 Parlamentarier verhaftet oder auf der Flucht. Einige Sozialdemokraten wie Wilhelm Sollmann lagen schwer verletzt im Krankenhaus, misshandelt von SA-Leuten, Rudolf Hilferding hatte sich aus Sicherheitsgründen krankgemeldet, andere waren schon ins Exil geflohen. Und wieder andere SPD-Köpfe wie Julius Leber und Carl Severing wurden auf dem Weg zur Kroll-Oper, dem Ausweichquartier für die Parlamentarier,  verhaftet. Demokratie sieht anders aus, die Braunen hatten das Heft längst in der Hand, als andere noch glaubten, Hitler einhegen zu können. Die freie Wahl des Abgeordneten gestaltete sich so: „Der Einzug der sozialdemokratischen Abgeordneten durch die Phalanx der SA glich einem Spießrutenlaufen.“ Schrieb Manuel Gogos in „Deutsche Sozialdemokratie in  Bewegung.“   Draußen die SA, drinnen die SS Draußen die SA, drinnen die SS und im Plenarsaal(der Oper) eine riesige Hakenkreuzfahne. Erlaubt oder nicht, so war es. Es ging um das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“. Artikel1 legte fest: „Reichsgesetze können… auch durch die Reichsregierung beschlossen werden.“ Das war der Freifahrtschein für Hitler. Zunächst befristet, wurde das Gesetz später mehrfach vom Parlament verlängert, in dem aber nur noch Nazis saßen. Den Schein des Rechtmäßigen wollte die Tyrannei  wahren.(Spiegel)Aber zunächst wurde die Geschäftsordnung geändert: die zum großen Teil verhafteten kommunistischen Abgeordneten wurden als anwesend geführt und sie sollten später als zustimmend gezählt werden. Ein schlechter Witz, die Kommunisten hätten nie dafür gestimmt. Ein Viertel der Sozialdemokraten saß bereits in Gefängnissen.