Beim Hamburger Fußballderby wendeten Beamte Gewalt gegen am Boden liegende Fans an. Kriminologe Thomas Feltes kritisiert das Vorgehen der Polizei – und hofft, dass mögliche Ermittlungsverfahren nicht eingestellt werden. SPIEGEL: Herr Feltes, nach dem Hamburger Fußballderby am Freitag steht die Polizei wegen ihrer teilweise harten Vorgehensweise in der Kritik. Was dachten Sie, als Sie die Videoaufnahmen gesehen haben? Feltes: Mein Eindruck war, dass da offensichtlich ein Einsatz komplett aus dem Ruder gelaufen ist. Wenn Polizeibeamte Jagd auf Einzelpersonen machen müssen, sind im Vorfeld grobe Fehler passiert. SPIEGEL: Man sieht, wie ein Fan des FC St. Pauli, der bereits am Boden fixiert wurde, hart in die Nierengegend geschlagen wird. Gibt es eine Situation, in der so ein Verhalten verhältnismäßig sein kann? Feltes: Ganz klar nein. Wenn er ein Messer oder eine Schusswaffe ziehen würde, müsste man darüber reden, aber das ist im vorliegenden Fall offensichtlich nicht passiert. Wir sehen hier den Ausraster eines Polizeibeamten, vielleicht weil er frustriert war oder sich aus anderen Gründen persönlich unwohl fühlte. (…) SPIEGEL: Laut Polizei Hamburg  hatten sich zuvor Sankt-Pauli-Fans vermummt und waren auf eine Gruppe HSV-Fans zugelaufen. Ein Angriff habe verhindert werden können, anschließend seien Teile der Gruppe in Gewahrsam genommen worden, in dieser Situation entstand offenbar das Video. Spielt es eine Rolle, was vor der Aufnahme passiert ist? »Irgendjemand muss Polizisten, die die Nerven verlieren, stoppen« Feltes: In der Theorie ja, in diesem konkreten Fall nein. Selbst wenn der Fan vorher mit einer Waffe auf Kollegen zugegangen wäre, würde das nicht diese Grenzüberschreitung rechtfertigen. Das Prinzip Verhältnismäßigkeit gilt immer nur für die aktuelle Situation. Nichts entschuldigt diese Gewalt. Man kann nicht einen Menschen ins Gesicht schlagen, nur weil er einen vor einer Viertelstunde angespuckt hat. Die richtige Reaktion wäre eine Festnahme. SPIEGEL: Und wenn sich die Person nicht festnehmen lässt? Feltes: Wenn die Person wild um sich tritt, sind sogenannte Blendschläge oder Maßnahmen zulässig, die eine Fixierung ermöglichen. Aber es gibt Grenzen, vor allem dann, wenn wie hier die Person schon am Boden fixiert ist. Derzeit kursiert ein Bild auf Twitter, wo ein Beamter den Fuß eines am Boden liegenden Fans bewusst umknickt. Ich kannte diese Maßnahme nicht und halte sie für äußerst gefährlich – genauso wie das Knien auf dem Nacken oder dem Kopf. Was passiert, wenn man plötzlich abrutscht?

via spiegel: Kriminologe über Hamburger Polizeieinsatz »Nichts entschuldigt diese Gewalt«