Darf ein Abgeordneter der AfD, der im Rahmen seiner Wahlkreisarbeit einen Bürgermeister besucht, auf Social Media als “Nazi” bezeichnet werden? Darüber hatte das Oberlandesgericht Stuttgart zu entscheiden. (…) Dabei ordnete er die Äußerung dem Grunde nach wie das erstinstanzliche Gericht als Meinungsäußerung ein. Der Senat hielt die Bezeichnung „Nazi“ nicht für die Behauptung einer Tatsache, weil mit der Äußerung keine verifizierbaren konkreten Informationen verbunden seien und der Bezeichnete auch nicht einer spezifizierbaren Personengruppe zugeordnet werden könne. Gemeint war: Der Angeklagte bezeichnete den AfD-Abgeordneten weder als Mitglied der NSDAP noch einer anderen speziellen neofaschistischen Organisation wie beispielsweise der NPD. Im Vordergrund der Äußerung stand vielmehr eine politische Wertung: Der Bezeichnete war für den Angeklagten ein „Nazi“. Formalbeleidigung oder berechtigte Wertung? Deshalb musste das Oberlandesgericht die Äußerung im Folgenden in die Kategorisierung des Bundesverfassungsgerichts einordnen: ehrverletzende Meinungsäußerung oder formale Schmähung? Abweichend von der ersten Instanz sah der Senat in der Bezeichnung „Nazi“ keine Formalbeleidigung. „Inzwischen handelt es sich gewöhnlich um eine schlagwortartige Qualifizierung der politischen Einstellung oder Geisteshaltung“, befand er und bestätigte damit seine Rechtsprechung vom 23.09.2015 (Az. 4 U 101/15). Damit war vermittels § 193 StGB Tür und Tor für eine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und persönlicher Ehre eröffnet. Und diese Abwägung zelebrierte das Oberlandesgericht vorbildlich. Zunächst konstatierte es, für die Qualifizierung der Bezeichnung als „Nazi“ als ehrverletzende Beleidigung sei der Kontext maßgeblich. Im vorliegenden Fall bezog sich die Äußerung auf einen Abgeordneten einer „von nicht unerheblichen Teilen der Bevölkerung dem rechten Spektrum zugeordneten Partei, die zudem […] in mehreren Bundesländern von den Verfassungsschutzbehörden als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wurde.“ Nachdem der Angeklagte seine Frage als Kommentar zu einem Instagram-Post über die Wahlkreisarbeit des Abgeordneten postete, in der Letzterer sowohl eine konkrete parlamentarische Initiative bewarb als auch den Hashtag #AfD verwendete, musste jedem klar sein: Nicht der Mensch, sondern der Abgeordnete in seiner politischen Funktion ist hier adressiert.

via jurios: OLG Stuttgart: AfD-Abgeordneter darf “Nazi” genannt werden