G20-Gipfel, Sarah N. will nach Hause, da holen Polizisten sie vom Rad. Am Ende ist ihr Arm gebrochen. Fünf Jahre kämpft sie, bis feststeht: Die Gewalt war rechtswidrig. Eigentlich wollte Sarah N. die Gefühle dieser Nacht nicht mehr an sich heranlassen. Der Nacht des siebten auf den achten Juli 2017, an deren Ende ihr Arm gebrochen und ihr Vertrauen in die Polizei zerstört war. Doch nun sitzt sie im grünen Sommerkleid vor meterhohen Aktenschränken im Besprechungszimmer ihres Anwalts in Hamburg-Altona und weint. Und das Schlimmste, sagt sie, kam erst danach: Die Leute in ihrem Heimatdorf, ihre Nachbarn, selbst einige Mitglieder ihrer Familie hätten eher der Polizei geglaubt als ihr. “Irgendwas musst du doch getan haben”, hätten sie gesagt. Seit fünf Jahren spürt Sarah N. die Nachwirkungen eines Polizeieinsatzes anlässlich des G20-Gipfels in Hamburg. Da sind nicht nur der gebrochene Arm – distale Radiusfraktur, zwölf Schrauben, eine Metallplatte in ihrem Handgelenk – und die Schürfwunden an Rücken, Knöchel und Ellenbogen, die in der Patientenakte vermerkt sind. Es sind vor allem die psychischen und sozialen Folgen, mit denen sie seitdem kämpft: eine posttraumatische Belastungsstörung inklusive Panikattacken, die sie unvermittelt heimsuchen. Mehrere Jobs habe sie deswegen verloren oder sie nicht angetreten, erzählt sie. Von vielen Freunden und Bekannten hat sie sich isoliert und sie teilweise verloren. Und noch eine Langzeitwirkung hat der Polizeieinsatz dieser Nacht: N.s Vertrauen in Polizei und Justiz ist ramponiert. Denn noch immer konnte nicht ermittelt werden, wer die Polizeibeamten waren, die Sarah N. verletzt haben, keiner der Polizisten muss sich vor Gericht verantworten, obwohl die Hamburger Polizei selbst vor dem Verwaltungsgericht anerkannt hat, dass die Beamten rechtswidrig körperliche Gewalt angewendet haben. (…) Zwei Polizisten hätten sie ohne Erklärung vom Rad gerissen. “Ich hörte nur meinen Freund schreien, der stand schräg hinter mir. Ich wurde dann die ganze Straße an meinen Händen zurück zur Kreuzung geschleift.” Ein weiterer Polizist sei hinterhergelaufen und habe währenddessen auf sie eingetreten. “Ich weiß noch, dass ich um mein Leben geschrien habe.” Dann folgt ein Blackout. Ihre Erinnerung setzt wieder ein, als sie auf einer Verkehrsinsel liegt. Ihr Arm habe stark geschmerzt. Noch am Boden liegend, rief Sarah N. den Notruf. Sie fleht um Hilfe. Sie steht offenbar unter Schock, ist orientierungs- und hilflos. Die Tonaufnahme des Notrufs klingt so schlimm, dass ein paar Tage später ein Beamter der Sonderkommission Schwarzer Block anruft. Er soll eigentlich sämtliche Notrufe des Abends auf Hinweise abhören, die Straftäter unter den Protestierenden identifizieren könnten. Nach einigen Rückfragen erklärt er Sarah N., dass er eine Anzeige gegen die Polizeibeamten stellen werde. “Das ist der einzige Fall, den ich kenne, bei dem ein Beamter selbst intern Anzeige gestellt hat”, sagt Woldmann. “Absolut ungewöhnlich.”
via zeit: G20-Gipfel : Polizeigewalt hat es doch gegeben