Ein Mammut-Prozess, mehrere Untersuchungsausschüsse und interne Aufarbeitung bei Verfassungsschutz und Polizei – doch viele Fragen rund um die Morde des NSU sind bis heute ungeklärt. Die Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız rechnet auch nicht mehr mit weiterer Aufklärung. Dadurch sei bei vielen das Vertrauen in den Staat verloren gegangen, sagt sie. Im Februar 2012, drei Monate nach der Selbstenttarnung des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU), gab Angela Merkel ein Versprechen ab: „Als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland verspreche ich Ihnen: Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen“, sagte sie vor den Hinterbliebenen der Mordopfer. „Sie hat ihr Versprechen gebrochen“, sagt Seda Başay-Yıldız heute. Sie hat die Familie des NSU-Opfers Enver Şimşek als Nebenklage-Anwältin im Münchener NSU-Prozess vertreten. Vom „gefährdeten Staatswohl“ Auch nach der internen Aufarbeitung bei Polizei und Verfassungsschutz, nach dem NSU-Prozess in München und Untersuchungsausschüssen im Bundestag und mehreren Landtagen sind viele Fragen offen. „Wir konnten so viele Punkte nicht aufklären, weil wir die Akten nicht bekamen oder weil Zeugen, besonders V-Leute, keine umfassende Aussagegenehmigung hatten“, beklagt Başay-Yıldız im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Stets sei das Geheimhaltungsinteresse des Staates angeführt worden. „Zu Recht fragen sich die Familien: Was steht denn in diesen gesperrten Akten, was das Staatswohl gefährden könnte?“, sagt die Frankfurter Rechtsanwältin.
Eine der vielen offenen Fragen betrifft den Mord an İsmail Yaşar am 9. Juni 2005. Fünf Schüsse aus der Česká-Pistole der NSU-Mörder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos trafen Yaşar, der in seinem Imbiss in Nürnberg arbeitete, und töteten ihn. Wie die Rechtsterroristen ausgerechnet auf Yaşars Imbiss kamen, ist wie bei mehreren der NSU-Morde bis heute nicht geklärt. Ermittler gingen Hinweisen nicht nach Doch es gibt einen Ansatz: Einige Monate vor der Tat hatte Ismail Yaşar eine Auseinandersetzung mit dem Nürnberger Neonazi Jürgen F. Der Mann hatte eine Statue vor dem Imbiss zerstört, wurde daraufhin zu einer kurzen Freiheitsstrafe verurteilt. Neun Jahre zuvor hatte F. gemeinsam mit Uwe Mundlos an einer rechtsextremen Veranstaltung in Nürnberg teilgenommen. Kannten sie sich etwa? Könnte Jürgen F. Ismail Yaşar zur Zielscheibe gemacht haben? Beantworten lassen sich diese Fragen nicht – weil die Behörden ihnen nicht nachgegangen sind. „Das BKA stellte fest, dass ein Zusammenhang nicht erkennbar sei. Aber Jürgen F. wurde nicht einmal befragt“, erklärt die Anwältin Başay-Yıldız. Auch im Fall des NSU-Mordes an Halit Yozgat am 6. April 2006 in Kassel bleiben bis heute wichtige Fragen offen, weil Behörden nur widerwillig zu ihrer Klärung beitrugen. Die wichtigste: Warum befand sich während des Mordes der Verfassungsschutz-Mitarbeiter und V-Mann-Führer Andreas Temme am Tatort?

via rnd: Viele Fragen bleiben ungeklärt – Zehn Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU