Was ist besser, zehn Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU? Nicht viel. Wer auf Rassismus hinweist, bekommt oft Identitätspolitik vorgeworfen. Es ist zum Schämen. Es gibt Tage, die brennen sich ins kollektive Gedächtnis einer Gesellschaft ein. Tage, deren Bedeutung den meisten Zeitzeugen schon im Moment ihres Geschehens so klar ist, dass viele sich auch Jahre später noch daran erinnern, was sie gerade taten, als sie von dem Ereignis erfuhren. Der Tag des Mauerfalls ist so einer, oder der 11. September 2001. Der 4. November 2011 gehört wohl nur für eine Minderheit zu diesen Ereignissen. Dabei ist jener Tag, an dem sich Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in einem Wohnmobil in Eisenach nach einem missglückten Banküberfall gegenseitig erschossen, eine der wichtigsten Markierungen in der Geschichte der Bundesrepublik.
In der Folge dieses Tages wurde klar, dass die deutschen Sicherheitsbehörden über Jahre hinweg darin versagt hatten, Menschen vor rechten Terroristen zu schützen, dass sie unfähig gewesen waren, eine rechtsextreme Terrorserie, wie sie Deutschland nach dem Krieg nicht erlebt hatte, zu stoppen oder auch nur für möglich zu halten. Es wurde klar, dass sie stattdessen manche der Menschen, die um Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter trauerten, teils jahrelang zu Unrecht verdächtigt hatten, mit den Morden zu tun zu haben. Noch heute ist dieses monumentale Behördenversagen nicht restlos aufgeklärt. Und es wurde noch etwas deutlich: dass nämlich die NSU-Terrorgruppe kein bedauernswertes Einzelphänomen, sondern auch ein Produkt der Nachwendejahre war – jener grauen Zeit, in der Angriffe auf People of Color, Juden, Obdachlose und alternative Jugendliche zum deutschen Alltag gehörten und in denen Neonazis auf die stillschweigende Zustimmung nicht weniger Bundesbürger zählen konnten.

via zeit: Im Land der Blinden

siehe auch: 10 Jahre Selbstenttarnung des NSU – Der Rechtsstaat leidet. Vor zehn Jahren endete die rechtsterroristische Mordserie des NSU. Bis heute sind viele Fragen unbeantwortet. Beobachter glauben nicht, dass Ermittlern noch der Durchbruch gelingen wird. Der 4. November 2011 markiert das Ende einer brutalen Mordserie, die Deutschland bis heute erschüttert und – so bitter es klingt – viele Betroffene am Rechtsstaats zweifeln lässt. In sage und schreibe elf Jahren wüteten Rechtsterroristen ungestört und unerkannt in ganz Deutschland. Ihre Schreckensbilanz: Zehn Morde, zumeist an Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, mehrere Bombenanschläge mit Dutzenden Verletzten und 15 Raubüberfälle. Nach einem gescheiterten Banküberfall töteten sich die Neonazis Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos selbst, in einem Wohnwagen im thüringischen Eisenach. Ihre Komplizin Beate Zschäpe steckte kurz darauf das gemeinsame Versteck, eine Wohnung in Zwickau, in Brand.Viele Fragen noch immer unbeantwortetZwar bekannte sich der NSU in einem selbstgebastelten Video zu den Verbrechen. Einer der Datenträger wurde etwa beim explodierten Haus in Zwickau gefunden. Doch die Hoffnung, dass die vielen Ungereimtheiten aufgeklärt, die vielen quälenden Fragen der Hinterbliebenen der Opfer beantwortet werden könnten, erfüllte sich nicht. Bis heute nicht.