Franziska Tschinderle: Flagge zeigen reicht nicht! Wie können wir der LGBT-Gemeinde in Ungarn beistehen? Ein persönliches Plädoyer.

Der ungarische Regierungschef Viktor Orbán spielt gerne den Schutzpatron. Er hat einen Zaun gebaut, um einen vermeintlichen “Flüchtlingsansturm” abzuwehren. Er mimt den Kreuzritter, der Ungarn vor dem Untergang des christlichen Abendlandes verteidigt. Jetzt will Orbán Kinder vor Missbrauch schützen. Aber vor wem eigentlich? Die Antwort mag im 21. Jahrhundert erschrecken, da sie ein wissenschaftlich widerlegtes, aber hartnäckiges Stereotyp befeuert. Sie lautet: vor Homosexuellen. Vor Menschen wie mir. Als lesbische Frau, die 1994 geboren wurde, hatte ich das Glück, in einer Welt ohne homophobe Strafrechtsparagrafen herangewachsen zu sein. Ein Gesetz, das “Homo-Propaganda” unter Strafe stellt? Das klang für mich nach Putin, also sehr weit weg. Jetzt spielt sich all das in unserem Nachbarland ab. Ein vergangene Woche vom ungarischen Parlament gebilligtes Gesetz sieht vor, dass Bücher, Filme und andere Inhalte, die Homosexuelle als Teil einer Normalität darstellen, verboten werden sollen. Das gilt etwa für ein Werbeplakat, auf dem sich zwei Frauen über einer gekühlten Coca-Cola-Flasche küssen. Das klingt absurd und kommt de facto einer Zensur gleich. Ein Mini-Russland grenzt jetzt ans Burgenland. Daraus lässt sich eine schmerzhafte Lektion ziehen. Die Rechte der sogenannten LGBT-Gemeinschaft, also von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgender-Personen, sind nicht in Stein gemeißelt und müssen laufend verteidigt werden. Dabei ist unser Kampf um Gleichberechtigung einzigartig. In der westlichen Welt hat sich wohl keine gesellschaftliche Gruppe so schnell so fundamentale Rechte erkämpft.
Als mein Großvater ein junger Mann war, ließen die Nationalsozialisten Homosexuelle in Konzentrationslager deportieren. 1960, als meine Mutter geboren wurde, landete man in Österreich noch wegen “gleichgeschlechtlicher Unzucht” im Gefängnis. Bis in die 1990er-Jahre existierte ein sogenanntes “Werbeverbot” an Schulen. Letzteres taucht jetzt, 30 Jahre später, in Ungarn wieder auf – getarnt als “Anti-Pädophilie” – Gesetz. Von den Konsequenzen erzählte mir unlängst eine junge Ungarin. Sie sprach von der Angst, was als Nächstes kommen könnte, von der Ungewissheit, wie die schwammig formulierten Gesetze wohl angewandt werden. Ein Türsteher, der nicht will, dass ein schwules Paar in seinem Club tanzt, fühlt sich jetzt eher legitimiert, es abzuweisen; Fernsehsender können Coming-out-Filme aus dem Programm streichen. Müssen wir all dem tatenlos zusehen? Nein. Gerade unsere eigene Geschichte lehrt uns, dass wir nicht machtlos sind. Erstens: Nicht das Parlament hat hierzulande die Gleichberechtigung in diesem Bereich durchgesetzt, sondern Höchstgerichte in Wien und Straßburg. Ohne Verfassungsgerichtshof und Europäische Menschenrechtskonvention dürfte ich in einem von der ÖVP regierten Land heute vielleicht noch immer nicht heiraten oder Kinder bekommen. Die EU ist nicht nur Werteunion, sondern Rechtsstaat. Nationale Gesetze dürfen sich nicht über das EU-Recht hinwegsetzen. Und Orbáns Ungarn ist Vertragspartner.

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