Wenn Impfgegnerinnen, Esoteriker und ReichsbürgerInnen gemeinsam «gegen» Corona demonstrieren, fällt oft die Forderung, die Mehrheit müsse sich vom rechten Rand distanzieren. Doch Rechtsextremismus und gewisse Strömungen innerhalb der Esoterikszene haben einen gemeinsamen Nenner. Auf der Bühne steht Traugott Ickeroth. Der Samstag hat mit heftigem Regen begonnen, nun strahlt die Sonne, weshalb sich am Konstanzer Seebecken doch noch ein paar Hundert Menschen versammelt haben. Für Ickeroth gehören sie zu den Erweckten, denn der Mann mit Schnauz und Leinenhemd verspricht seinem Publikum eine baldige «Transformation». «Je spiritueller diese Bewegung ist, desto schneller kommen wir voran», sagt er. Das System werde fallen. Die EU, die Nato, die WHO, der Vatikan. «Das Merkel-System und die Zentralbanken.» Applaus aus dem Publikum. Die Umsturzgelüste des Redners, der sich in der Esoterikszene mit Vorträgen und Büchern wie «Die neue Weltordnung, Band 2. Ziele, Orden und Rituale der Illuminati» einen Namen gemacht hat, scheinen hier nicht die kleinste Irritation auszulösen. (…) Freilich gibt es sie, die sogenannten BürgerInnen, die aus reiner Pandemieüberforderung auf der Strasse sind. Und natürlich ist nicht jeder rechtsextrem, der Globuli schluckt oder Chakrameditationen macht. Und doch demonstriert hier in erster Linie eine Szene mit gemeinsamem Nenner. Das Grundlagenwerk der abendländischen Esoterik stammt von der Russin Helena P. Blavatsky. Sie gilt als Begründerin der Theosophie; 1888 erschien ihr erfolgreichstes Werk, «Die Geheimlehre». Darin vertritt sie die rassistische Theorie der sogenannten Wurzelrassen. Blavatsky glaubte, die Menschheitsentwicklung würde in einem ausgeklügelten Zuchtprogramm gesteuert, das übernatürliche Wesen für die Menschheit ersonnen hätten. Jede Wurzelrasse teilte Blavatsky in sieben Unterrassen auf. Wenn eine Rasse ihre Aufgabe erfüllt habe, gehe sie mit dem zugehörigen Kontinent unter – um der nächsthöheren Rasse Platz zu machen. Die Juden waren in Blavatskys esoterischer Rassenlehre ein «abnormes, unnatürliches Bindeglied», dunkelhäutige Menschen «Äfflinge» oder «Tschandalen». Auf der obersten Stufe stand für Blavatsky die indoeuropäische Volksgruppe der «Arier», der sie das «perfekte Gleichgewicht zwischen Hirn-Intellekt und spiritueller Wahrnehmung» zuschrieb. Deutsche Esoteriker wie Jörg Lanz von Liebenfels münzten Blavatskys Theorien später auf das germanische Volk um. Adolf Hitler las als junger Mann begeistert Lanz von Liebenfels’ «Ostara»-Hefte, sie prägten sein antisemitisches Denken mit. Doch war die Wurzelrassentheorie nicht nur Inspiration für den nationalsozialistischen Rassenwahn, sie floss auch in andere esoterische Lehren wie die Anthroposophie Rudolf Steiners ein. Antisemitische und rassistische Denkmuster finden sich auch in Teilen der Lebensreformbewegung, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts formierte.

via woz: Verschwörungsdemos – Das braune Erbe der #Esoterik