Der SPD-Politiker Helge Lindh ist seit 2017 Bundestagsmitglied – und seit einigen Wochen Klient bei HateAid. Während er sich politisch mit den Themen Migration, Asyl und Innen- und Außenpolitik befasst, ist er selbst von digitaler und analoger Gewalt betroffen. Im Interview mit uns erzählt er von seinen Erfahrungen, erklärt, was als Betroffene*r von digitaler Gewalt zu tun ist und wagt einen Ausblick in die Zukunft der Chancen und Gefahren des Internets. Herr Lindh, Sie sind seit einigen Wochen Klient bei HateAid. Was war der Auslöser? Ich habe bereits eine lange Vorgeschichte von Beleidigungen, Beschimpfungen und Bedrohungen. Dem folgte nun eine massive Welle von verbalen Attacken bis hin zu widerlichen, alle Grenzen überschreitenden Morddrohungen, die ich erhalten habe. Daraufhin hat sich dankenswerterweise HateAid bei mir gemeldet und mir Unterstützung angeboten. Sie haben also bereits seit vielen Jahren unter analogen wie digitalen Angriffen zu leiden – wie sind Sie bisher damit umgegangen? Was waren Ihre Erfahrungen?
Ganz extreme verbale Attacken, also beispielsweise Drohungen, die auf meine körperliche Unversehrtheit abzielten, habe ich polizeilich angezeigt. Beleidigungen und Beschimpfungen habe ich nur in Einzelfällen angezeigt und an die Sicherheitsbehörden und den Staatsschutz weitergeleitet. Mir war es vor allem wichtig, durch das Informieren der Polizei, Mitarbeiter*innen, meine Familie, andere Betroffene und auch mich selbst zu schützen. Andererseits habe ich dadurch auch versucht, mit den Attacken offensiv umzugehen. So konnte ich auch darauf hinzuweisen, in welcher Form Menschen bedroht und unter Druck gesetzt werden, die in der Öffentlichkeit stehen. Ich möchte das nicht zum Anlass nehmen, mich zurückzuziehen, sondern stattdessen dieses Verhalten in einer ganz klaren Form anmahnen und kritisieren. Und wie gehen Sie auf einer persönlichen Ebene mit diesen Attacken um? Was hilft Ihnen dabei, sich nach solchen Angriffen besser zu fühlen? Für mich ist es wichtig, nicht jede einzelne Beleidigung zu lesen. Gleichzeitig stelle ich mich aber auch den Hasskommentaren und begreife sie als Herausforderung. Sie stellen sowohl eine Gefährdung unserer demokratischen Kultur als auch meiner selbst dar. Und das nehme ich nicht hin. Ich klage es an und wehre mich dagegen. Das ist für mich eine Art, mit der Situation umzugehen. Ich sehe es als Ansporn, etwas zu verändern, anstatt ohnmächtig nichts zu tun. (…)
Sie haben nach Ihrer Morddrohung am 27.09. eine öffentliche Solidaritätsbekundung erfahren, die Sie besonders gerührt hat – wie sah sie aus und von wem wurde sie angestoßen? Die erste größere Solidaritätsbekundung bestand darin, dass sich einige Musliminnen zusammen mit den beiden Oberbürgermeisterkandidaten meiner Stadt und einzelnen anderen Mitbürgerinnen ganz spontan vor meinem Büro versammelten, um mir ihre Solidarität zu bekunden. Diese Aktion hat mich auch deshalb gerührt, weil die Mehrzahl der Anwesenden selbst Erfahrung mit Rassismus und Diskriminierung gemacht hat. Neben Solidarität wollten sie mir auch Dankbarkeit für meinen Einsatz entgegenbringen. Zu späteren Zeitpunkten gab es weitere Solidaritätsbekundungen von diversen Organisationen und einem Bündnis für Demokratie. Ich fand es ganz besonders rührend, dass Menschen, die selbst unter Hass leiden, weil sie als “fremd” stigmatisiert und angegriffen werden, sich buchstäblich vor mich gestellt haben, um mich zu unterstützen. Wie wichtig sind solche Solidaritätsbekundungen für Sie und andere Betroffene? Mein heiliger Zorn über die Ungerechtigkeit und diese Kultur des Hasses ist so groß, dass ich gar nicht aufgeben könnte. Gleichwohl ist es allerdings viel angenehmer und befreiend, erfahren zu können, dass die Welt nicht nur aus Bedrohenden und Hassenden besteht. Diese sind besonders laut. Aber es gibt trotzdem ganz viele, die an meiner Seite stehen und mir positives Feedback geben. Diese Menschen haken Betroffene unter, stützen und begleiten sie. Das ist etwas, das noch viel zu wenig geschieht. Solidarität ist meiner Meinung nach ein wichtiges Mittel gegen diese Form von Gewalt und Bedrohung – insbesondere im digitalen Raum.

via hate aid: Solidarität! Wir sprechen mit… Helge Lindh