Seit Jahren bekommen Menschen, die sich gegen Rechts stellen, Morddrohungen vom „NSU 2.0“. Wer verschickt sie? Die Spur führt vor die Haustür eines Polizisten. Eigentlich geht es um versteckte Botschaften in Mails, die jemand nachts verschickt, der gerne „der Führer“ wäre und Menschen damit droht, sie „umzulegen“. Um einen verdächtigen Polizisten, der mit Kolleginnen rechtsextreme Nachrichten auf Whatsapp austauscht, der Linke auch mal Terroris­tin­nen nennt und schon 2013 enthu­siastisch dafür warb, die AfD zu wählen. Es geht um einen der größten Polizeiskandale, den es in Deutschland je gab, und ein bis zu 60-köpfiges Ermittlungsteam, das anscheinend immer einen Schritt langsamer ist als die Täter. (…) Die Schreiben beziehen sich aufeinander und manchmal sogar auf andere Drohschreiber*innen. Im Juli 2020, zwei Jahre nach dem ersten Fax, prüft der Generalbundesanwalt, ob er den Fall übernimmt. Der hessische Polizeipräsident wird entlassen, ein Sonderermittler eingesetzt. Bis heute werden immer neue Mails mit Beschimpfungen und Drohungen verschickt. Inzwischen sind es mehr als 80. Unerträglich für die Betroffenen – und wie ein Stinkefinger in Richtung Polizei. Wer steckt hinter „NSU 2.0“? Wie werden die Empfängerinnen der Drohschreiben ausgewählt? Und ermittelt die Polizei in dem Fall, in dem eigene Kolleginnen unter Verdacht stehen, gut genug? Uns liegen mehr als ein Dutzend der Drohschreiben vor. Wir werten Unterlagen aus, recherchieren in sozialen Netzwerken und Darknet-Foren. Wir sprechen mit Empfängerinnen der Drohungen, mit Ermittlerinnen. Und irgendwann stehen wir vor einem Haus in Frankfurt, in dem ein Polizist wohnt, und betätigen die Klingel, an der sein eigener Name nicht steht. Über diesen Polizisten hat die Öffentlichkeit bislang so gut wie nichts erfahren. Wir sind bereits Anfang 2019 auf ihn gestoßen, bei einer Recherche über zwei andere mutmaßlich rechtsex­treme Polizisten im hessischen Kirtorf. Aber die Hinweise waren vage, seine mutmaßliche Rolle war noch unklar. Als der „NSU 2.0“-Skandal sich ausweitet, schauen wir genauer auf die Puzzleteile, finden seinen Namen heraus, Details über seine Person, seine Facebook-Seite. Und dann bekommen wir die Bestätigung: Er ist der Hauptverdächtige, gegen den bis heute im Fall „NSU 2.0“ ermittelt wird. Er heißt Johannes S. (…) Neben sexistischen und queerfeindlichen Beschimpfungen steht in der Mail auch Yaghoobifarahs Geburtsdatum. Das ist zwar nicht sehr leicht zu finden, aber auch nicht geheim. Vor allem aber ist das genaue Datum des zweiten Anrufs in der taz-Redaktion genannt. Der „Führer“ des „NSU 2.0“, wie sich der Absender bezeichnet, schreibt, dass er „schon am 22.8.2018 telefonisch höchstpersönlich klargemacht“ habe, „dass wir Hengameh Yaghoobifarah […] ganz besonders zutreffend betreuen werden“. Die Mail endet mit „Heil Hitler“.
Der taz-Justiziar gibt auch diese Mail ans LKA weiter. Schnell ist klar: Bei dem Anrufer und dem Mailschreiber muss es sich um denselben Mann handeln. Andernfalls müsste es einen engen Informationsaustausch gegeben haben. Wie sonst sollte der Mailschreiber zwei Jahre später den Anruf in der taz auf den Tag genau datieren können? Es spricht einiges dafür, dass es sich bei dem Absender der „NSU 2.0“-Mails um eine einzelne Person handelt, jedenfalls nicht um eine größere Gruppe. „Der Führer des NSU 2.0“ schreibt immer wieder aus der Ich-Perspektive. Die uns vorliegenden Mails haben eine weitgehend identische Formatierung, aber es ist kein Baukastensystem. Die einzelnen Schreiben sind individuell auf einen Empfängerin oder einen Sachverhalt zugeschnitten. Ihr Ton ist eine seltsame Mischung aus formal und vulgär. Mehrfach taucht auch derselbe Recht­schreib­fehler in einem selten gebrauchten Wort auf. „Blut wird fließen, knüppelhagedick!“ steht in den Mails. Und das im Abstand von Monaten. Es müsste „knüppelhageldick“ heißen, mit l. Die Zeile ist eine Referenz auf ein rechtsextremes und antisemitisches Szenelied. Und ein Beispiel dafür, dass die Nachrichten kleine Hinweise enthalten, die sich manchmal auch aufeinander beziehen. Legt man die Nachrichten nebeneinander, wirken sie wie eine Schnitzeljagd

via taz: taz-Recherche zu Drohmails:Wer steckt hinter „NSU 2.0“?