Auf der Kurznachrichtenplattform Twitter hat in der vergangenen Woche ein Video große Verbreitung gefunden, das zeigt, wie letztlich zwölf Polizeibeamte einen 15-jährigen Jugendlichen mit Schlagstock und Pfefferspray überwältigen, um seine Identität festzustellen, nachdem er ordnungswidrig mit seinem E-Roller auf dem Bürgersteig gefahren war. Unabhängig von der in etablierten Medien aufgegriffenen Debatte, ob der Einsatz verhältnismäßig war – was sich ohne Weiteres nicht beurteilen lässt –, ist es eine Konversation am Rande des Einsatzes, die gleichfalls Beachtung verdient. Im Video ist zu hören, wie eine Polizeibeamte die aufzeichnende Frau anspricht und sie mehrmals dazu auffordert, den Einsatz nicht weiter zu filmen. Dies sei, so die Polizeibeamte, verboten. Aber stimmt das denn? Und ist es denn – allein mit Blick auf die Dogmatik – richtig? Die Antwort auf die erste Frage lautet Ja. Die zweite Frage muss indes, so vertrete ich hier, verneint werden. Es besteht eine Kluft zwischen dem, was die Rechtsprechung zu dieser Frage urteilt, und dem, was Grundrechtsdogmatik als Antwort gebietet. Die Rechtsprechung Um das Filmen und Photographieren polizeilicher Einsätze rankt sich eine umfangreiche, auch höchst- und bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung. Waren früher noch Kameras beschlagnahmt worden, damit der Film nicht entwickelt werden konnte (BVerwG v. 14. Juli 1999 – 6 C 7/98), wurden in neueren Sachverhalten Mobiltelephone eingezogen oder als mildere Maßnahme eine Identitätsfeststellung (OVG Lüneburg v. 19. Juni 2013 – 11 LA 1/13) vorgenommen. Polizei und Staatsanwaltschaften sind mittlerweile dazu übergegangen, das Verhalten des Filmenden als den § 201 StGB (Unverletzlichkeit des nichtöffentlich [!] gesprochenen Wortes) erfüllendes Verhalten zu werten. Zumindest letztere Praxis entbehrt evident jeglicher Grundlage, wie erst jüngst ein lesenswerter Beitrag in der NJW (Ullenboom, NJW 2019, 3108) luzide dargelegt hat. Für die Beschlagnahme-Praxis dagegen fällt das Bild gemischt aus: Das Bundesverfassungsgericht bestätigte 2015 (BVerfG v. 24. Juli 2015 – 1 BvR 2501/13) inzident die Auffassung der Verwaltungsgerichte, dass das Filmen und Photographieren Bediensteter der Polizei zu Zwecken der Beweissicherung rechtmäßig sei, bei Veröffentlichung der Aufnahmen indes ein Verstoß gegen § 22 KUrhG vorliegen könnte, nachdem die abgebildeten Polizistinnen und Polizisten in die Erstellung der Aufnahmen nicht eingewilligt hätten. Zwar kann ein Verstoß gegen § 22 KUrhG bekanntlich gerechtfertigt werden, wenn die abgebildete Person Akteurin oder Akteur eines „Ereignisses der Zeitgeschichte“ (vgl. § 23 Abs. 1 Nr. 1 KunstUrhG) ist – nur ob ein Ereignis zum zeitgeschichtlichen wird, ob die Aufnahme in den sozialen Medien „trendet“, weiß man eben oft erst hinterher. (…) Schlüpfen Polizeibeamte in ihre Uniform, machen sie damit kenntlich, dass ihre Handlungen eben diese reflexive Legitimität beanspruchen; im Gegenzug müssen sie darauf verzichten, in der kommoden Privatheit zu leben, die Nicht-Uniformierten zusteht. Als Angehörige der Polizei haben sie kein Grundrecht, das dazu führen könnte, sie unter den Schutz des Kunsturheberrechtsgesetzes zu stellen. Auch eine Pflicht zur Anonymisierung durch Unkenntlichmachen der Gesichter scheidet darum aus. Um nicht missverstanden zu werden: Bedrohung und Körperverletzung von Polizisten durch Rechts- und Linksextremisten sind leider real. Ebenso nicht zu leugnen ist aber, dass eine Anonymisierung staatlicher Hoheitsträger zu Friktionen mit dem Credo führt, das Zeigen des eigenen Gesichtes gehöre zu den Voraussetzungen einer demokratischen Gesellschaft. Wenn der EGMR das für einfache Bürgerinnen sagt, muss es für uniformierte Polizeikräfte erst recht gelten. (…) Die Rechtsprechung, nach der man Polizeibeamte zwar zu Beweissicherungszwecken filmen, diese Aufnahmen aber nicht veröffentlichen darf, beruht auf einer grundrechtlichen Abwägung, für die es hier keinen Raum gibt: Polizeibeamte haben als Verkörperung staatlicher Gewaltausübung kein (Grund-)Recht. Die Veröffentlichung kann nur dann verboten werden, wenn der Staat ein eigenes – d.h. nicht-grundrechtliches – Interesse an der Anonymität seiner Beamten hat. Das lässt sich für Einsätze von Zivilfahndern hören, für den ganz gewöhnlichen Einsatz uniformierter Beamter eher nicht. Die Rechtsposition der Filmenden ist nicht stark: Trotz mancherlei Schutzbereichsverwirrung infolge der Möglichkeiten, die soziale Medien bieten, greift für sie nur die allgemeine Handlungsfreiheit. Doch dieses leicht einzuschränkende Grundrecht trifft auf Seiten der Polizei (im Regelfall) auf kein Gegenrecht, sondern auf nur eine einzige Pflicht: Polizistinnen und Polizisten müssen sich dem Gesetz getreu zu verhalten. Dabei müssten sie sich eigentlich gern zuschauen lassen.

via juwiss: Polizisten haben kein Recht. Ein dogmatischer Zwischenruf