Auch in Deutschland zeigen Videos, wie Polizisten bei Einsätzen rüde zupacken. Das löst Verunsicherung aus: Wie viel “unmittelbarer Zwang” ist den Beamten erlaubt? Und wo sind die Grenzen? Wenige Wochen nachdem im US-Bundesstaat Minnesota ein 46 Jahre alter Mann namens George Floyd jämmerlich zum Ersticken gebracht worden war durch einen Polizisten, der sich acht Minuten und 46 Sekunden lang auf seinen Hals kniete, machen in Deutschland Handyvideos die Runde, die manche gespenstisch an diese Szene erinnern. In Düsseldorf kniete ein Polizist mindestens 30 Sekunden lang auf dem Nacken eines Mannes, der auf dem Boden lag. In Hamburg umringten acht Beamtinnen und Beamte einen Jugendlichen und brachten ihn mit Schlägen zu Boden. In Frankfurt am Main, so ist ebenfalls auf einem Handyvideo zu sehen, das in sozialen Netzwerken veröffentlicht worden ist, fixierten Beamte einen 29-Jährigen am Boden. Einer trat dann aus dem Knie heraus dem Mann mit voller Wucht in den Rücken. (…) Ein Handyvideo zeigt immer nur einen Ausschnitt der Wahrheit. “Um den Vorgang zu bewerten, müsste man eigentlich auch wissen: Was ist vorher geschehen? Hat der Adressat der Maßnahme geschrien, hat er gebissen?”, sagt der Polizeirechtler Thiel. Sein Kollege Tobias Singelnstein, der an der Ruhr-Universität Bochum lehrt und mit kritischer Forschung zur Polizei bekannt geworden ist, pflichtet bei: Die Gesamtsituation könne sich für die Beamten oft anders darstellen, als ein isolierter Ausschnitt es hinterher suggeriert. Aber beide sind sich einig: Es gibt Grenzen, es gibt absolute Verbote. Nach einer Reihe von Todesfällen in den USA ist etwa auch die sogenannte Bauchlagenfesselung hierzulande durch ministerielle Anordnungen untersagt. Gemeint ist: dass sich ein Beamter auf den Rücken eines Gefesselten kniet. “Das Problem ist, dass dabei die Lunge gestaucht wird”, sagt Thiel. In solchen Fällen komme es immer darauf an, ob eine Bewegung nur ganz kurz ausgeführt werde, “um schnell Handschellen anzulegen” – oder lange und absichtsvoll. Das Video aus Düsseldorf, in dem der Polizist auf dem Nacken eines am Boden Liegenden kniet, legt Letzteres nahe. Ist Nachtreten gegen einen am Boden Liegenden jemals zulässig? Das 4.35 Minuten lange Video aus dem Frankfurter Kneipenviertel Sachsenhausen, das zeigt, wie ein Beamter einen bereits Liegenden in den Rücken tritt, dürfte als strafrechtliches Beweismittel gegen den Beamten infrage kommen, meinen die beiden Juristen Thiel und Singelnstein. “Auch die Polizei darf Gewalt nur ausnahmsweise anwenden – nur dann, wenn sie eine Maßnahme auf andere Weise nicht durchsetzen kann”, sagt Singelnstein. Hier sei die Festnahme offenbar schon abgeschlossen gewesen. “Dieses Nachtreten ist etwas, das öfter vorkommt, was menschlich vielleicht auch nachvollziehbar ist, wenn man ein dynamisches und emotional stark aufgeladenes Geschehen vor sich hat. Aber das darf trotzdem nicht passieren.” Als Körperverletzung im Amt sei dies strafbar.