Ein Familienvater stirbt 1997 schwerverletzt, kurz nachdem er in einem Dessauer Polizeirevier war. Jetzt zeigen seine Angehörigen vier Polizisten an. (…) Als Michael N. 2013 das letzte Mal zu den Ereignissen jener Nacht vernommen wird, kann er sich wichtige Punkte „nicht mehr in seine Erinnerung zurückholen“, so notiert es der Staatsanwalt. Aber heute, an diesem Freitag im März, ist die Erinnerung wieder da. Er habe Verstärkung gerufen, sagt er. „Ich hab gleich gesagt, alles ran hier, was ranzuholen ist.“ Es dauert eine halbe Stunde, bis der Rettungswagen kommt. 28 Stunden später, um 9.25 Uhr am 8. Dezember, stirbt der Mann im Städtischen Klinikum Dessau an inneren Verletzungen, die kurz vor seinem Tod eine Querschnittslähmung verursachen, übersät mit tiefen Hautunterblutungen, zerquetschtem Hoden, Lungenabriss, von Schlägen auf den Kiefer waren Zähne ins Gesicht durchgestoßen, ein Lendenwirbel so zertrümmert, dass der Wirbelkanal offen liegt. Der Name des Toten war Hans-Jürgen Rose, ein Maschinenbauingenieur aus Wolfen nahe Dessau. Als er stirbt, ist er 36 Jahre alt, Vater dreier Kinder. Einer von drei Toten auf diesem Polizeirevier Vier Stunden bevor Michael N. ihn vor dem Wohnblock Wolfgangstraße 15 findet, war Rose von Polizisten in das nahe gelegene Dessauer Polizeirevier in der Wolfgangstraße 25 gebracht worden, wegen Trunkenheit am Steuer. Rose ist einer von drei Menschen, die zwischen 1997 und 2005 sterben, nachdem oder während sie auf diesen Polizeirevier waren: 2002 wird der alkoholkranke Mario Bichtemann mit einem Schädelbasisbruch in der Ausnüchterungszelle 5 des Reviers gefunden. 2005 verbrennt der Sierra Leoner Oury Jalloh in derselben Zelle. Der wegen fahrlässiger Tötung Jallohs angeklagte und 2008 freigesprochene Polizeibeamte Hans-Ulrich M. ist auch in der Nacht im Revier im Dienst, in der Rose so schwer verletzt wird. Roses Familie will die Sache nicht ruhen lassen. Am heutigen Donnerstag hat sie vier Polizeibeamte aus Dessau, Kollegen von Michael N., wegen Mordes an Rose angezeigt – beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe. Zwei Mal hat die Justiz die Ermittlungen in der Sache eingestellt, erst 1998, dann 2014. Es sei „nicht auszuschließen“, dass Unbekannte Rose totprügelten oder dass er ohne Fremdeinwirkung einfach aus dem Fenster fiel, heißt es dazu im letzten Einstellungsvermerk der Staatsanwaltschaft. Doch jetzt wurden neue Fakten bekannt, die daran Zweifel aufkommen lassen: Offenbar manipulierte Einsatzprotokolle, Ermittlungsakten, die auf ein völlig anderes Geschehen hindeuten – und Zeugenaussagen. Unmöglicher Geschehensablauf Viele der neuen Erkenntnisse gehen auf die jahrelange Investigation einer Gruppe namens Recherche Zentrum zurück, die aus der Initiative Gedenken an Oury Jalloh hervorgegangen ist. Die mit privaten Spenden finanzierte Gruppe von Investigativjournalisinnen, Fil­me­ma­che­rin­nen und Ak­ti­vis­t*in­nen hat sich der „Aufklärung von möglichen Polizeimorden“ verschrieben. Im Fall Rose hat sie viele der Vorgänge rekonstruiert – und die Anzeige mit der Familie gemeinsam gestellt.

via taz: #Polizeigewalt in #Dessau : Sein Name war Rose