Die Polizei macht Politik mit der Zahl der angegriffenen Beamten. Doch wichtig sind die Details. Und ein notwendiger Kulturwandel in der Polizei. Die Berliner Polizei pflegt eine unangenehme Tradition. Alljährlich, kurz vor Silvester, liefert die Polizeipräsidentin der Nachrichtenagentur dpa eine Zahl, die die – immer – zunehmende Gewalt gegen Po­li­zis­t:in­nen belegen soll. Ohne jeden Kontext, ohne jede Aufschlüsselung wird die Zahl der Po­li­zis­t:in­nen benannt, die von Widerstandshandlungen betroffen gewesen sein sollen. Dieses Jahr angeblich 8.400 – selbstverständlich mehr als im vergangenen Jahr. Und das Echo in den Medien ist jedes Jahr groß. Für die Polizei ist das gut, pflegt sie damit ja ihre Opferrolle, die wichtig ist beim ständigen Fordern nach mehr Polizist:innen, mehr Befugnissen, mehr Waffen. Das Problem: Auf die zugrundeliegende Zahl kann man sich nicht verlassen. (…) Selbst wenn die Zahlen stimmen, sagen sie nichts aus. Ein Polizist kann in einer Situation Opfer gleich mehrerer Delikte werden; auch zählt jede Beleidigung als Widerstandshandlung, mitnichten nur körperliche Angriffe. Eine Aufschlüsselung der Zahlen reicht die Polizei irgendwann später nach – nur interessiert es dann kaum noch jemanden. (…) Ein willkürliches Beispiel: U-Bahnhof Rosenthaler Platz; ein offensichtlich berauschter Mann in Zivilkleidung prügelt mit seiner Waffe auf einen verwirrten psychisch kranken Mann ein, bis dieser blutüberströmt zu Boden geht. Als Pas­san­t:in­nen dem Opfer zu Hilfe kommen wollen, gibt sich der Mann als Polizist zu erkennen und richtet die Waffe auf die Umstehenden. Alarmierte Polizeikräfte eilen hinzu, prügeln ebenfalls auf das am Boden liegende Opfer ein und nehmen es mit. Den Polizist in Zivil lassen sie laufen, ohne Alkohol- oder Drogentest, stattdessen verfolgen sie einen jungen Schwarzen Mann, der die Szene gefilmt hat und der gerade so entkommen kann. Ein Einzelfall, sicher, aber ein exemplarischer. Exzessive Polizeigewalt, ob gegen psychisch Kranke, Mi­gran­t:in­nen oder politische Ak­ti­vis­t:in­nen wird häufig – zumindest im Nachhinein – mit vermeintlichem Widerstand begründet. Auch so geht die Statistik der angegriffenen Beamten nach oben

via taz: Angriffe auf Polizisten :Gut gepflegte Opferrolle