Seit große Plattformen und Soziale Netzwerke verstärkt gegen Desinformationen und Extremismus vorgehen, suchen Akteure nach neuen Verbreitungsmöglichkeiten. Dafür entdecken sie zunehmend ein bisher wenig bekanntes System, wie eine Studie zeigt. (…) Seit rund vier Jahren gibt es PeerTube, bei dem jeder mit kostenloser Software Videos hochladen und verbreiten kann. Mit relativ geringem Aufwand kann man eine sogenannte Instanz aufsetzen, einen Server, auf dem Konten erstellt und Inhalte hochgeladen werden. Die Instanzen werden unabhängig verwaltet, können aber mit anderen vernetzt werden.Keine zentrale InstanzDer entscheidende Unterschied zu kommerziellen Plattformen wie YouTube oder Vimeo: Die Daten werden, wie bei dem BitTorrent-Netzwerk, dezentral gespeichert, es gibt keine wirtschaftlichen Interessen oder zentrale Institutionen, die Zensur ausüben können.Und genau das scheint sich die rechtsextreme und verschwörungsideologische Szene zu Nutze zu machen. PeerTube wird zunehmend auch dafür verwendet, illegale, irreführende, hetzerische oder extreme Inhalte zu verbreiten, wie eine neue Studie des Institute for Strategic Dialogue (ISD) zeigt, die dem ARD-faktenfinder exklusiv vorliegt: “Die Hydra im Netz: Herausforderung der extremistischen Nutzung des Fediverse am Beispiel PeerTube“. (…) PeerTube ist dabei in der Regel eine Platform von vielen. “Was wir sehen ist, dass viele führende Köpfe der Bewegung eine Multi-Plattform-Strategie nutzen, um ihre Inhalte online zu veröffentlichen”, erklärt Gerster. (…) Da immer mehr Soziale Netzwerke gegen Desinformation und Hetze auf ihren Plattformen vorgehen und inzwischen sogar Kanäle auf Telegram gesperrt wurden, was lange Zeit als moderationsfreies Netzwerk galt, wachsen die Bemühungen innerhalb der Szene, ihre Inhalte dezentraler aufzustellen.”Inzwischen machen sie sich immer mehr Gedanken darüber: Wohin können wir ausweichen?”, erklärt Studienautorin Gerster. PeerTube sei da eine besonders sichere Alternative, weil Anbieter dort ihre eigenen Server aufbauen können und Kontrolle über ihre Inhalte behalten. Sollten die Inhalte von Anbietern gelöscht werden, könne man immer noch auf die PeerTube-Instanz zurückgreifen und diese verlinken.”Wir haben es zum Beispiel bei der ‘Querdenken’-Bewegung beobachtet. Als deren YouTube-Kanal gesperrt wurde, bauten sie daraufhin eine PeerTube-Instanz auf”, sagt Gerster. Allerdings lasse sich das häufig zu beobachtende Phänomen, dass nicht alle Nutzer auf die neue Plattform folgen, auch hier feststellen. (…) PeerTube sei noch eine Randerscheinung in den einschlägigen Kreisen, sagt auch Gerster. “Mein Eindruck ist, dass für die extreme Rechte, gerade im deutschsprachigen Raum, Telegram nach wie vor das zentrale Kommunikationsmittel ist.”Doch könnte PeerTube aufgrund des zunehmenden Deplatformings für extremistische Akteure immer wichtiger werden. Denn PeerTubes dezentrale Struktur führt laut ISD-Studie zu einem “Hydra-Effekt”: “Selbst wenn verbundene Server abgestellt werden, bleibt das Netzwerk bestehen und ermöglicht, dass beliebig neue Server hinzugefügt werden können.”Missbrauchsmöglichkeiten systembedingtDie Macher von PeerTube betonen, dass die Administratoren volle Kontrolle über die von ihnen akzeptierten Inhalte haben und entscheiden, ob sensible Inhalte wie Gewalt und Pornografie standardmäßig angezeigt werden oder nicht. Im September 2021 seien nur etwa ein Prozent der im öffentlichen Index aufgeführten Videos entsprechend gekennzeichnet worden. Nutzer können zudem problematische Videos an den Administrator melden. Wie er mit der Information umgeht, bleibt jedoch ihm überlassen.

via tagesschau: PeerTube-Netzwerk Ein sicherer Hort für Desinformationen?

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Von David Revoy – <a rel=”nofollow” class=”external free” href=”https://joinpeertube.org/”>https://joinpeertube.org/</a>, CC BY 4.0, Link