Nach den Massaker in Butscha – :Die Überlebenden

Irina und Evgeni haben ihre Nachbarn begraben. Bestatter Sergei hat zwanzig Leichen geborgen, deren Hände auf dem Rücken gefesselt waren. Eine der Hauptstraßen von Butscha, die Bahnhofsstraße, sieht aus wie ein Friedhof für verbranntes Kriegsgerät. Auf der mindestens zehn Meter breiten Straße stehen schachbrettartig angeordnet die Überreste russischer Panzer. Genau an dieser Stelle begann der Überfall der russischen Armee auf Butscha. Das war am 3. März, also vor ziemlich genau einem Monat. Jetzt gibt es hier praktisch kein einziges intaktes Haus mehr. Nahezu alle Gebäude sind durch Granatbeschuss und Feuer zerstört worden. Die Bewohner, größtenteils geflüchtet, haben es daher nicht eilig, zurückzukommen. Derzeit wäre eine Rückkehr auch gar nicht möglich, denn Butscha wurde zur Sperrzone erklärt, die niemand ohne eine besondere Genehmigung betreten darf. Blindgänger und Minen stellen tödliche Gefahren dar. (…) „Es war gegen neun Uhr morgens. Mein Mann und ich saßen in der Wohnung, aber wir hörten Leute sprechen. Unser Nachbar Lenja kam aus dem Keller, um zu rauchen. Ein Russe hat ihn gefragt, wer er sei und was er hier mache. Lenja sagte, dass er in diesem Haus lebe. Der Soldat fragte ihn nach seinen Papieren, und er sagte, er würde sie von zu Hause holen. Als er sich umdrehte, um loszugehen, schoss der Russe ihn in den Kopf“, sagt Irina und kann die Tränen kaum zurückhalten. Dann ergänzt sie: „Lenja hatte nicht einmal die Zeit, etwas zu sagen oder zu begreifen.“ (…) Gewiss waren hier noch im vergangenen Sommer Kinder zur Erholung untergebracht. Aber in diesem Frühjahr sind schreckliche Dinge passiert. In einem Keller des Sanatoriums haben ukrainische Polizisten die Leichen von fünf Männern gefunden. Ihre Hände waren hinter ihren Rücken zusammengebunden, einigen war in den Hinterkopf geschossen worden, anderen ins Herz, sagen sie. Einem Mann hätten sie den Schädel mit dem Kolben eines Maschinengewehrs zertrümmert.

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