Die Querdenken-Bewegung ist am Ende. Doch die mediale Infrastruktur, die sie aufgebaut hat, ist für Fake News jederzeit wieder reaktivierbar. (…) Trotzdem bleibt festzuhalten: Querdenken und Co. haben zeitweise einen virtuosen Einsatz der sozialen Medien und von Videostreaming als Propagandainstrument betrieben, der in der breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurde. Bei Streamingdiensten wie DLive, Twitch oder YouTube, bei denen man Livesendungen per Webcam oder Smartphone verbreiten kann, sind nach wie vor täglich Übertragungen von den Demos und Kundgebungen der Szene zu sehen – auch wenn kaum noch wer kommt. Oder es werden faktenfreie Diskussionsrunden veranstaltet, in denen von „Merkill-Diktatur“, „Giftspritzen“, der „New World Order“ oder dem „Great Reset“ gefaselt wird. Diese Sendungen, die teilweise Zehntausende Zuschauer verfolgen, haben oft fast den Charakter von Live-TV-Sendungen, bei denen zwischen verschiedenen Schauplätzen hin und her geschnitten wird oder Kommentatoren zugeschaltet werden. Dank Streamingtechnologie schufen ein paar Leute mit Smartphones und unlimitiertem Datenvolumen ein dezentrales Medienimperium, das seinen Zuschauern den Eindruck einer riesigen Unterstützerschaft suggeriert, auch wenn die tatsächliche Beteiligung vernachlässigbar war: Als Corona-Oberprofiteur Michael Ballweg in Stuttgart als Bürgermeisterkandidat antrat, erhielt er gerade einmal 1 Prozent der Stimmen. Gleichzeitig konnten seine Fans den Wahlkampf in den sozialen Medien so dominieren, dass man meinen konnte, sie seien ein nennenswerter Teil der Wähler. Es ist wohl auf solche antidemokratischen Methoden zurückzuführen, dass etwa der sächsische Ministerpräsident Kretschmer zu Jahresbeginn von „Öffnungswünschen der Bevölkerung“ redete, während laut Umfragen ein Drittel der Deutschen die geltenden Coronaregeln unterstützte und ein weiteres Drittel härtere Maßnahmen forderte. Ähnliches konnte man schon bei Pegida oder den sogenannten Montagsdemonstrationen 2015 beobachten: Einer kleinen Gruppe von Querulanten gelangt es damals, den öffentlichen Diskurs nachhaltig zu beeinflussen. Auch wenn der Querdenker-Spuk jetzt erst mal vorbei ist, ist die mediale Infrastruktur robust, die für derartige Desinformationskampagnen eingesetzt werden kann. Sie wird bei der nächsten gesellschaftlichen Verwerfung oder politischen Großlage wieder dazu genutzt werden, Fake News zu verbreiten, Spenden oder „Schenkungen“ zu sammeln. Und die nächste Kohorte schlichter Gemüter auf die Idee bringen, dass sie in einer schlimmeren Diktatur als der DDR oder dem Dritten Reich leben. Für eine Demokratie ist das nicht gesund.

via taz: Ende der Querdenker-Bewegung – :Urlaub von der Wirklichkeit