Oliver von Dobrowolski ist Polizist – und geht öffentlich mit den Missständen in seiner Institution um. Ein Gespräch über Rassismus in Polizeistrukturen, Korpsgeist, eine mangelnde Fehlerkultur, das Verhältnis von Polizei und Justiz in Deutschland und darüber, wie die deutsche Polizei reformiert werden könnte. Die Debatte um Sicherheit in der offenen und vielfältigen Gesellschaft angesichts zunehmender Bedrohung von rechts vertiefen wir am 18. Februar in einer Online-Diskussion. Die Liste an rassistischen Ereignissen bei der Polizei ist allein in den vergangenen zwei Jahren lang. Polizisten schickten Drohbriefe an die Anwältin eines NSU-Opfers, unterzeichnet mit „NSU 2.0.“ Beamte trugen verfassungsfeindliche Symbole auf Demonstrationen und riefen rassistische Parolen in ihrer Freizeit. Sächsische Polizisten verwendeten den Namen des NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt in einem Dienstplan. In Mecklenburg hortete ein Polizist für die Prepper-Gruppe “Nordkreuz” Munition und Waffen, inklusive Listen mit den Namen von Politiker:innen und Journalist:innen. Den rechtsextremen Verein Uniter leiteten Polizisten. Immer wieder fliegen Chatgruppen unter Polizist:innen auf, in denen rechtsextreme und rassistische Inhalte verbreitet werden. Das sind nur einige Beispiele. Alles Einzelfälle? Oliver von Dobrowolski: Nein. Wer halbwegs bei gesundem Verstand ist, muss angesichts der Vielzahl der Vorfälle erkennen, dass man nicht von Einzelfällen sprechen kann. Das Argument, dass es ja eine Viertel Millionen Polizistinnen und Polizisten in Deutschland gibt, ist sehr schwach. Wir reden ja nicht von einem beliebigen Beruf, sondern von Mitarbeitenden einer Gruppe, die bewaffnet in Uniform rumlaufen und in Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern eingreifen können. Da ist es fatal, wenn Menschen so ein Mindset haben. Jeder Fall ist da einer zu viel. Hinzu kommt, dass Polizistinnen und Polizisten sehr gut wissen, wie Straftäter ihre Handlungen vor Ermittlungen verbergen können. Wenn man dann noch extremistisches Gedankengut hat, dann weiß man auch, wie man Dinge unerkannt machen kann. Worauf ich hinaus will: Wir müssen davon ausgehen, dass es eine monströs hohe Dunkelziffer gibt.
Warum ist das so? Ist die Berufsgruppe Polizei anfälliger für Rassismus und rechte Einstellungen? Da gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Zum einen zieht die Polizei genauso wie das Militär traditionell Menschen an, die auf Uniformen oder Waffen stehen, auf legitime Gewaltausübungen. Das sind eher Menschen, die konservativ gepolt sind. Auf der anderen Seite gibt es – und da darf man auch stolz drauf sein – in Deutschland eine ziemlich vorzügliche Ausbildung bei der Polizei. Nichtsdestotrotz muss man feststellen, dass Polizeianwärterinnen und -anwärter nach der Ausbildung in der Regel hochmotiviert und mit guten Vorsätzen in die Dienststellen kommen und dort von den Älteren erstmal ausgebremst werden. Da heißt es: ‚Jetzt siehst du mal, wie es wirklich auf der Straße zugeht und was du an der Hochschule gelernt hast, vergisst du mal ganz schnell‘. Es findet eine Art Vererbung von diesen Haltungen statt, die sich über Jahrzehnte hinweg in der deutschen Polizei gefestigt haben. Ein sehr wesentlicher Punkt ist auch, dass die Polizei natürlich berufsbedingt zumeist mit gesellschaftlichen Konfliktlagen zu tun hat und dadurch auch leicht Stereotype entstehen können. Vor allem dann, wenn es eine Überlastungsreaktion gibt, keine Nachbearbeitung stattfinden kann und auch Instrumente wie Supervisionen keinen Raum finden. Diese Überlastung führt dann auch verstärkt zu einem Freund/Feind-Denken und der Abschottung hin zu internen Gruppierungen. Das verselbständigt sich schnell.

via heimatkunde böll stiftung: Rassismus in der Polizei: „Die Dunkelziffer ist viel höher“