Der Soziologe Oliver Nachtwey identifiziert bei den Teilnehmenden der Corona-Proteste eine große Entfremdung vom traditionellen politischen System. Viele Leute seien antiautoritär geprägt und sozialisiert, machten dann aber eine Wandlung durch und sähen in der AfD eine Alternative, sagte er im Dlf. Der Soziologe Oliver Nachtwey hat für eine Studie zur „Politischen Soziologie der Corona-Proteste“ Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei Corona-Demonstrationen in Deutschland und der Schweiz befragt. Ergänzt durch Befunde aus einem Telegram-Chat ergab sich eine Stichprobe von 1.150 Kritikern der Corona-Politik – die zwar nicht repräsentativ ist, aber ein durchaus überraschendes Ergebnis liefert. Oliver Nachtwey: Das ist eine neuartige und auch überraschende Bewegung, weil sie mitunter sehr disparate Milieus miteinander verbindet: Menschen, die eher aus dem anthroposophischen, alternativen Spektrum kommen, die zu ganzheitlichem Denken und esoterischem Denken neigen und wahrscheinlich eher die Grünen gewählt haben. Aber auf diesen Demonstrationen haben wir dann auch gesehen, dass durchaus sehr Konservative und mitunter auch Rechtsextreme mitgelaufen sind. „Entfremdung zum traditionellen politischen System“ Das Überraschende an dieser Bewegung war, dass dort auch viele Bürgerliche oder Linke vor Ort waren, die aber kein Problem damit hatten, dass rechte Symbolik gezeigt wurde. In unserer Studie konnten wir sehen, dass man zumindest in Deutschland sagen kann, dass es eine Bewegung ist, die zum Teil von links kommt, aber eher nach rechts geht. (…) Nachtwey: In unserer Stichprobe hatten wir einen relativ großen Anteil von Menschen, die eine gewisse Neigung zum anthroposophischen, zum ganzheitlichen Denken hatten, die eine, wenn man so möchte, Kritik an der industriellen Rationalität, an unserer Hypermoderne geübt haben und sich ein Zurück zur Natur wünschen. Das war sehr, sehr augenfällig, und das sehen wir auch an den qualitativen Interviews, die wir gerade noch auswerten. Es ist geradezu fast ein romantisches Motiv, was sich darin wiederfindet, eine Ablehnung der verwalteten und vollständig rationalisierten Welt. Das zeigt sich eben gerade darin, dass man auf alternative Medizin zum Beispiel hofft und sagt, die sollte der Schulmedizin gleichgestellt werden. Dass man ein Zurück zur Natur fordert, dass man generell eine neue Spiritualität im Leben anstrebt – das vermisst man. Oder dass man auch zum Beispiel seinen Gefühlen stärker vertraut als den sogenannten Experten. „Die gestiegene Komplexität unserer Gesellschaft stellt zivilisatorische Normen infrage“ Weber: Eigentlich alles erstaunliche Faktoren, die Sie eben benennen, weil man davon ausgehen sollte – jetzt spiele ich noch mal auf die Akademiker und Akademikerinnen an –, dass die ja während ihres Studiums etwas anderes gelernt haben. Nachtwey: Ja, aber wenn wir uns die AfD anschauen und uns da die sozialen Strukturen anschauen, dann sind es ja auch nicht unbedingt die Abgehängten, es sind auch nicht unbedingt die niedrig Qualifizierten, sondern da kommen ganz andere Faktoren ins Spiel. Das sind Menschen, die sozusagen ein wissenschaftliches Selbstverständnis erfahren haben, aber unsere Gesellschaft zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass auch wissenschaftliche Erkenntnis – und das bemerken wir ja unmittelbar – sehr, sehr stark unsicher ist und revidiert werden muss.

via dlf: Studie zur „#Querdenker“-Bewegung – „Kommt zum Teil von links, geht aber eher nach rechts“

siehe auch: Studie: Politische Soziologie der Corona-Proteste. Aus der Mittelschicht, eher älter und akademisch gebildet – das sind die typischen Merkmale der Angehörigen der Protestbewegung gegen die Coronamassnahmen in Deutschland und der Schweiz. Die Gegner sind in sich heterogen, aber nach rechts offen und vom politischen System stark entfremdet. Dies sind vorläufige Ergebnisse eines empirischen soziologischen Forschungsprojekts an der Universität Basel, das sich auf die Auswertung von über 1150 Fragebögen stützt.

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