Lestenē liegt rund 80 Kilometer westlich der lettischen Hauptstadt Riga. Gut 300 Seelen zählt der kleine beschauliche Weiler. Doch auf dem Ort lastet der faschistische Völkermord. Gerade auch über dem Friedhof gleich neben der im ersten Jahrzehnt des neuen Millenniums restaurierten evangelisch-lutherischen Barockkirche. Nicht für die Dörfler ist der Friedhof angelegt, sondern für lettische Angehörige der Waffen-SS, die das Internationale Militärtribunal in Nürnberg 1946 als verbrecherische Organisation verurteilt hatte. Grundsteinlegung für die schaurige Stätte war am 27. April 1996, die Eröffnung am 27. September 2003. Der unerhörte Skandal: Alles unter aktivster Förderung der lettischen Regierung! Mit höchster Ehrerbietung wurden dorthin bisher 7360 Banditen der lettischen Waffen-SS (einige Deutsche sind auch darunter) »umgebettet«, 1112 bekamen eigene Grabplatten. Die meisten waren im Kurlandkessel vom 10. Oktober 1944 bis 8. Mai 1945 umgekommen. An zwei Seiten eingerahmt ist das Ganze von 18 Wänden aus Granit, auf denen die Namen von 11 000 lettischen SS-Leuten eingraviert sind. Der Platz für 20 000 weitere soll noch gefüllt werden. Alle diese »Helden« zählten zu den etwa 160 000 lettischen Kollaborateuren der faschistischen Mordmaschinerie. Geschätzt über die Zeit dienten 115 000 in der Lettischen SS-Freiwilligen-Legion, deren Aufstellung Hitler am 10. Februar 1943, unmittelbar nach Stalingrad, befahl. Sie leistete Hitler den Treueschwur. Die Legion setzte sich aus der 15. und 19. Lettischen SS-Freiwilligen-Division zusammen. Lesart heute: Die allermeisten der »Helden« seien von den Nazis zwangsrekrutiert worden, und Zwangsrekrutierte fallen nicht unter das Nürnberger Diktum von der SS als verbrecherischer Organisation. Tatsächlich nahm das Kriegsverbrechertribunal jene aus, die »vom Staate zur Mitgliedschaft in solcher Weise herangezogen wurden, dass ihnen keine andere Wahl blieb, und die keine solchen Verbrechen begingen«. Und gekämpft hätten sie zudem für die Befreiung von der Sowjetherrschaft. (…) Eingegliedert in die Lettische Legion wurden 1943/44 zielgerichtet Letten, die zu »Strafkommandos« des »Sicherheitsdienstes «(SD) der SS gehörten. Die waren schon in den Jahren zuvor bei Massenmorden an der Zivilbevölkerung und an sowjetischen Kriegsgefangenen sowie gegen sowjetische Partisanen im Baltikum, in Russland, Weißrussland und in der Ukraine eingesetzt. Russische Archive benennen 27 lettische Bataillone, die Dörfer in Brand steckten, die Bevölkerung vertrieben und Tausende erschossen.
Allein die 19. Lettische SS-Freiwilligen-Division vernichtete so vom 18. November 1943 bis 2. April 1944 23 Dörfer und tötete 1300 Menschen. Insgesamt ereilte mehrere Hundert Dörfer mit Zigtausenden Toten dieses Schicksal. Weiteren »Ruhm« ernteten die lettischen Faschisten bei der Mordorgie gegen das Warschauer Ghetto 1942/43. Die 15. Lettische SS-Freiwilligen-Division war nicht »besser«: Nach ihrer Zerschlagung im Sommer 1944 ermordeten Angehörige des Verbandes, inzwischen in die »Schwester«-Division eingegliedert, am 31. Januar 1945 im heutigen Podgaje 32 mit Stacheldraht gefesselte Soldaten der 1. Polnischen Armee. Aber zu den schlimmsten Kriegsverbrechen der lettischen SS-Truppen zählte ihre Beteiligung an der Blockade Leningrads vom 8. September 1941 bis 27. Januar 1944, die bis zu 1,1 Millionen Einwohnern das Leben kostete. Lettische SS-»Helden« nahmen im Verbund mit dem SD, dem deutschen »Sicherheitsdienst« an den Massenerschießungen im Wald von Biķernieki teil, wo vom Sommer 1941 bis zum Herbst 1944 35 000 bis 46 500 Menschen ermordet wurden (die Zahlen divergieren). Sie bewachten Todeslager, darunter das Konzentrationslager Salaspils, südlich von Riga, wo Tausende Menschen umkamen, darunter viele Kinder und Jugendliche. Ein großer Teil der 500 Mann lettischen Hilfspersonals, das an den Hinrichtungen von über 27 000 Juden am 30. November und 8. Dezember 1941 im Wald von Rumbula »mitwirkte«, kam dann in den lettischen Verbänden der Waffen-SS unter. Darunter befand sich das Kommando Victors Arājs, eines lettischen Polizeioffiziers, dessen Blutspur sich durch die nordwestliche UdSSR zog, der 1942 zum SS-Sturmbannführer ernannt wurde und der 1943 das Kriegsverdienstkreuz mit Schwertern bekam.

via nd: Die Blutspur der Legionäre – Lettland, das SS-Erbe und die westliche Wertegemeinschaft

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Von Carl Strott – Deutsches Bundesarchiv (German Federal Archive), Gemeinfrei, Link