Ein Jahr nach dem #Anschlag von #Halle – “Ohne soziale Medien wäre die rechtsextreme Welle nicht denkbar” – #terror

Der Attentäter von Halle wollte sich per Livestream zum Helden einer Hass-Community machen. Die Forscher Holger Marcks und Maik Fielitz untersuchen, wie sich Rechtsextreme online organisieren, und erläutern die Dynamik des neuen digitalen Faschismus. Bevor Stephan Balliet am 9. Oktober 2019 zu seiner Mordtat aufbricht, macht er ein Selfie in Kampfmontur. Später erschießt er eine Passantin vor der Synagoge in Halle und ermordet einen jungen Mann im nahen Kiez-Döner. Eigentlich will er am jüdischen Feiertag Jom Kippur so viele Juden wie möglich töten, so erzählt er es später der Polizei. Doch er scheitert an der Holztür der Synagoge. Eine Helmkamera auf seinem Kopf filmt alles und überträgt seine Taten 35 Minuten lang live ins Netz. Um 13.40 Uhr nehmen Polizisten den Rechtsterroristen an der B91 bei Halle fest. Sie hatten vorher noch nie von Balliet gehört. Er radikalisierte sich zu Hause vor dem Rechner. Holger Marcks und Maik Fielitz erforschen solche Prozesse der Online-Radikalisierung. Zum ersten Jahrestag des Anschlags in Halle sprechen sie mit dem SPIEGEL über Rechtsradikale im Netz, die Verantwortung der Plattformen und jedes einzelnen Nutzers. (…) Um den Betroffenen gerecht zu werden, darf es nicht nur um den Täter gehen. Wir haben die Verantwortung, über die Hintergründe der Tat zu sprechen. Halle steht ebenso wie Hanau für eine neue Form des Rechtsterrorismus.
Welcher wäre das? Marcks: Ein Terror, der aus der Dynamik eines digitalen Faschismus resultiert. Wir wissen, dass rechtsextreme Online-Subkulturen den Angreifer von Halle beeinflusst haben. Er veröffentlichte sein Manifest auf Englisch – weil er sich mit einer global vernetzten Szene identifizierte. Der Livestream zeigt, dass der Täter auf eine digitale Vervielfältigung der Tat abzielte, wie auch der Angreifer von Christchurch. Beide wollten sich als Helden verewigen, die ihre Kultur vor dem Untergang bewahren. Gerade die Idee, dass die Nation bedroht sei, war stets zentraler Antrieb faschistischer Dynamiken. Fielitz: Beide Fälle stehen beispielhaft für einen Terror, der als Spektakel für ein digitales Publikum geplant wird. Damals wie heute hat Gewalt eine gemeinschaftsbildende Funktion in faschistischen Bewegungen. Im Gegensatz zur Zwischenkriegszeit braucht es dafür heute aber gar keine großen Kampfverbünde oder Sturmabteilungen mehr. Andere können nun virtuell an der Gewalt teilhaben und die Wirkung der individuellen Tat kollektiv verstärken. Sie wird so im Netz zur Aufforderung, selbst zu handeln. SPIEGEL: Überschätzen Sie nicht die Rolle, die das Internet für die Radikalisierung spielt? Marcks: Online- und Offlinewelt lassen sich heute kaum noch auseinanderhalten. Und natürlich spielen bei solchen Taten viele Faktoren eine Rolle, auch die biografischen. Doch einmal in den Sog der Bedrohungsmythen geraten, die die extreme Rechte vor allem online streut, ist es kaum vorherzusagen, wann Menschen nur zur Tastatur greifen oder wann zur Waffe. Das macht diese Mythen so gefährlich.

via spiegel: Ein Jahr nach dem Anschlag von Halle “Ohne soziale Medien wäre die rechtsextreme Welle nicht denkbar”

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