Wer zu vermeintlich kriminellen Clans gezählt wird, unterscheidet sich stark von Bundesland zu Bundesland. Und die Kategorien sind höchst umstritten. Die jüngste Razzia gegen die sogenannte „Clan-Kriminalität“ in Berlin ist erst wenige Tage alt. Die Razzia davor ist nicht viel länger her. Denn fast wöchentlich begeben sich Dutzende Berliner Polizist*innen in verschiedene Bezirke, sperren Straßen ab und durchsuchen Shisha-Bars, Wettbüros oder Privatwohnungen, in denen Aktivitäten im Umfeld dieser „Clan-Kriminalität“ vermutet werden. Oft sind Ordnungs- und Finanzämter, Steuerfahndung, Lokalpolitikerinnen und ein Medientross anwesend. (…) Die Beamtinnen finden tatsächlich manchmal Schusswaffen oder harte Drogen – manchmal aber auch nur unverzollten Shisha-Tabak, importierte Getränkedosen ohne Pfand oder weniger. (…) Demnach wurden seit August 2019 in der Hauptstadt insgesamt 213 Personen als Tatverdächtige mit Clan-Bezug gezählt, darunter 16 Minderjährige. 38 weitere Personen wurden dem erweiterten Umfeld zugeordnet. Zum Vergleich: Im ländlich geprägten Niedersachsen wurden im Laufe des vergangenen Jahres 1.646 Beschuldigte mit Clan-Bezug gezählt. Woher kommt diese statistische Diskrepanz? Um eine Erklärung dafür zu finden, muss eine andere Frage gestellt werden: Wie wird überhaupt gezählt? In der Antwort der Senatsverwaltung heißt es: Für die Erstellung der Statistik „erfolgt durch die Polizei Berlin eine umfangreiche Einzelfallprüfung anhand der Definition Clankriminalität.“ Diese Definition umfasse eine „Ausrichtung auf patriarchalisch-hierarchisch geprägte Familienstruktur“, „eine mangelnde Integrationsbereitschaft“, oder „das Provozieren von Eskalationen“. Fokus auf die Herkunft Für Schrader, Sprecher für Innenpolitik der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, stellt die Statistik selbst ein Grundproblem dar: „Ich halte es für mehr als bedenklich, wenn die Polizei durch diese Art der Datenerfassung ihren Fokus auf die Herkunft und auf die Familienzugehörigkeit legt“, sagt er. Die Statistik leiste Stigmatisierung und rassistischer Diskriminierung Vorschub. „Kriminalistisch relevant ist der Bezug zu Straftaten und sonst nichts.“ In der rot-rot-grünen Koalition sorgt das Thema für Diskussionen. (…) In Niedersachsen schauen die Sicherheitsbehörden vor allem auf den Familiennamen einer tatverdächtigen Person. Das Landeskriminalamt Niedersachsen hat eine Liste mit Nachnamen definiert, die auf eine vermeintliche Zugehörigkeit zu einem Clan hindeuten sollen. Das heißt: Kommt jemand mit dem „falschen Namen“ irgendwie in Berührung mit der Polizei, landet die Person fast automatisch in der Niedersächsischen Clan-Statistik.

via taz: Sogenannte Clan-Kriminalität: 213 Tatverdächtige in Berlin