Die rechtsextreme Zelle Gruppe S. besteht aus Mitgliedern ganz unterschiedlicher rechter Strömungen. Eine toxische Mischung. Ist das eine neue Form des Terrorismus? Als die Polizei am vorvergangenen Freitag im bayerischen Mickhausen ein in die Jahre gekommenes graues Haus stürmt, findet sie eine geladene Pistole im Kaliber neun Millimeter und weitere Munition. Werner S., der Mann, den die Polizisten festnehmen, soll der Anführer einer rechten Terrororganisation sein, die in der Öffentlichkeit nun nach ihm benannt wird: Gruppe S. Insgesamt 13 Personen sollen ihr angehören, Männer zwischen 31 und 60 Jahren. Bis auf einen sitzen sie alle in Untersuchungshaft. Vier Männer bildeten den Kern der Gruppe, glauben die Ermittler, neun weitere sollen geholfen haben, Waffen und Geld zu besorgen und zugesichert haben, bei Anschlägen mitzumachen. Den Kontakt untereinander hielten sie vor allem über Mails und über Telegram-Chats. Einige der Männer trafen sich aber auch mindestens zwei Mal konspirativ in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Ihr Ziel laut Generalbundesanwalt: Anschläge auf Moscheen, Politiker und Migranten in Deutschland, um so “bürgerkriegsähnliche Zustände” herbeizuführen. Sie wollten, lautet der Vorwurf, das politische System des Landes umstürzen.
Die Gruppe S. zeigt ein neues Phänomen im Rechtsterrorismus: die Verbindung verschiedener, bislang voneinander unabhängiger Strömungen. Nach Recherchen von ZEIT ONLINE sind unter den Mitgliedern stramme Neonazis und Aktive in rechtsextremen Bürgerwehren, aber auch sogenannte Reichsbürger und Verschwörungstheoretiker, die an Chemtrails glauben – und AfD-Sympathisanten. Jede dieser Szenen hat unterschiedliche ideologische Ausrichtungen. Eine terroristische Vereinigung mit so heterogenem Personal war bislang nicht bekannt. Rechte Terrorgruppen der vergangenen Jahre stammten meist aus einem bestimmten Milieu: Bei der Bamberger Gruppe, bei Revolution Chemnitz, der Gruppe Freital oder auch beim sogenannten NSU fanden sich stets Neonazis mit homogenen Weltbild zusammen, die sich in einer rechten Kameradschaft oder in einem Freundeskreis kennengelernt hatten. (…) Sucht man nach Gemeinsamkeiten unter den 13 Personen, dann fällt auf, dass etliche der Männer der Gruppe S. sich bei rechtsextremen Bürgerwehren engagierten oder in der Vergangenheit auf NPD-Demonstrationen aufgefallen sind. Doch unter den Mitgliedern sind nicht nur klassische Neonazis, sondern auch Männer, die sich in den vergangenen Jahren von der “alten” Rechten abgewandt und den “Neuen Rechten” zugewandt haben. So wie Werner S., der 53-jährige mutmaßliche Hauptverdächtige. (…) Wer sich die Äußerungen und öffentlich sichtbaren Profile der einzelnen Mitglieder anschaut, erkennt, dass die Gruppe Neonazis und Anhänger der Neuen Rechten umfasst. Ein Phänomen, das sich im nicht militanten Bereich schon länger beobachten lässt. Erst kürzlich besuchte die ehemalige Pegida-Sprecherin Kathrin Oertel eine Kundgebung mit Neonazis in Dresden. In Nordrhein-Westfalen nahmen neurechte Identitäre in den vergangenen Monaten an Demonstrationen von Neonazis und “Bürgerwehren” teil – obwohl Identitäre sich zuvor offiziell stets von der Rassenideologie der Neonazis distanziert hatten. Die heterogene Zusammensetzung der Gruppe S. bestärkt nun die Befürchtung, dass aus diesem Mix eine neue Form der Militanz erwächst, eine Art Wutbürger-Terrorismus. Für die Sicherheitsbehörden bedeutet eine Zusammensetzung wie die der Gruppe S. deshalb eine neuartige Herausforderung. Neben den bereits seit Längerem bekannten Ermittleralbtraum vom unauffälligen, unvernetzten Einzeltäter – wie zum Beispiel dem mutmaßlichen Attentäter von Hanau, Tobias R. – tritt nun das Problem kaum noch vorhersehbarer Zusammenschlüsse, bei denen die hergebrachten Identifizierungsansätze – räumliche Nähe, ideologische Kohärenz – nicht mehr ohne Weiteres greifen. Solche Gruppen zu entdecken, dürfte um Einiges schwieriger sein.

via zeit: Gruppe S.: Der neue Wutbürger-Terrorismus