Sogenannte alternative Medien bekommen in Deutschland ein immer größeres Publikum. Mit Berichterstattung hat ihre Arbeit häufig aber nichts zu tun. Stattdessen werden starke Meinungen auf dünner Faktenbasis verbreitet. Das nützt vor allem denen, die sich eine ganz andere Bundesrepublik wünschen. (…) Heute wollen alternative Medien immer noch unabhängig, kritisch und unbequem sein. Es geht aber nicht mehr um eine alternative Themenauswahl. Vielmehr schreiben die neuen Alternativen über dieselben Themen wie der von ihnen verachtete Mainstream. Sie schreiben allerdings anders darüber. So anders, dass schon ein halbes Jahr alternativen Medienkonsums im Selbstversuch reichte, um den Journalisten Hans Demmel in eine „Anderswelt“ zu bringen. Immer am Abgrund In dieser Welt ist das Drama alltäglich. Wo etablierte Medien Probleme sehen, erblicken die Alternativen Katastrophen. Alternative Medien hangelten sich in den vergangenen Jahren von Krisenszenario zu Krisenszenario. 2015 sollte die deutsche Bevölkerung vermeintlich „ausgetauscht“, 2020 ihrer Freiheit beraubt und 2022 durch Hunger und Kälte ausgezehrt werden. Der gemeinsame Nenner: Deutschland ist bedroht und nur einen Schritt vom Untergang entfernt. Geschrieben wird von einer „Umvolkungspolitik“ (PI-News) im Zuge der Ankunft von Geflüchteten 2015 und vom „neuen Totalitarismus“ angesichts der Corona-Politik (Rubikon). Wer politisch nicht gleichgesinnt ist, dem wird wahlweise psychotisches oder wahnhaftes Verhalten unterstellt (Achse des Guten) oder er wird direkt als „verrückt“ bezeichnet (Julian Reichelt). Und die Bundesregierung wird als fremdgesteuerte Erfüllungsgehilfin der USA – oder Bill Gates’ – diffamiert. (…) Beispiel Corona: Die bis heute meistbeachtete der unzähligen „Querdenken“-Demos fand am 29. August 2020 in Berlin statt. Insgesamt rund 38.000 Menschen hatten sich an verschiedenen Punkten der Stadt versammelt, um gegen die deutsche Corona-Politik zu demonstrieren. Eine der angemeldeten Veranstaltungen lief aus dem Ruder, rund 400 Menschen überwanden Absperrungen und erklommen die Treppen des Reichstags, teilweise schwenkten sie Reichsflaggen. Ein weiterer Demonstrationszug in Berlin-Mitte wurde aufgelöst, nachdem er gegen Auflagen verstoßen hatte. Die Deutsche Welle schrieb über diesen Teil der Demo, dass die Stimmung „ausgelassen [und] fröhlich“ gewesen sei. Die größte Kundgebung auf der Straße des 17. Juni und am Großen Stern verlief durchgehend friedlich und wurde nicht vorzeitig beendet. Das berichtete der RBB. Die Welt sah dort „Männer und Frauen, Junge und Alte, auch Familien mit Kindern«. „Als rechtsextrem erkennbare Demonstranten“, so heißt es weiter, „machen nach Einschätzung von Demo-Beobachtern […] einen sehr kleinen Teil aus.“ Dass viele Medien diesen „kleinen Teil“ der Demonstrationen trotz geringer Personenzahl ins Zentrum ihrer Berichterstattung stellten, ist ebenfalls richtig und unter Umständen kritikwürdig. Andererseits: Rechtsextreme auf der Treppe des Reichstags – nicht darüber zu schreiben, wäre gerade in der Bundesrepublik ein Zeugnis naiver Geschichtsvergessenheit. Und was wird in der „Anderswelt“ geschrieben? Auf Rubikon liest man von einer „Staatsmacht“, die „den Demonstrierenden zweimal eine Falle gestellt“ und nun die Bilder habe, die sie brauche, „um die Bewegung auch künftig zu diskreditieren“. Man liest vom verschwundenen Rechtsstaat und diktatorischen Verhältnissen in Deutschland. Auf Achse des Guten wird über „deutsche Politiker und [die] mit ihnen verbundenen Medien« geschimpft, die versuchten, diejenigen in die rechte Ecke zu rücken, die gegen „das Ersticken der Demokratie in Deutschland“ demonstrierten. Belege für die Thesen von der aufziehenden Diktatur, dem untergehenden Rechtsstaat oder eines Komplotts aus Spitzenpolitik und Presse gibt es keine. Die Wahrheiten sind fast immer gefühlte. Wissenschaftliche Erkenntnisse, die die Annahmen untermauern könnten, sind jedenfalls nicht zu finden. So konnten etwa weder das renommierte schwedische V-Dem-Institut noch die US-amerikanische NGO Freedom House hinsichtlich der deutschen Corona-Politik Verletzungen rechtsstaatlicher und demokratischer Standards ausmachen. Reporter ohne Grenzen sah die Pressefreiheit in Deutschland 2020 zwar etwas bedrohter als in den Jahren zuvor. Grund dafür war allerdings keine vermeintlich diktatorische Staatsmacht, sondern unter anderem die teils gewaltsamen Übergriffe auf Journalist:innen im Rahmen vieler Querdenken-Demos.

via katapult-magazin: Rechte alternative Medien Eskalationspresse