Wilhelm Heitmeyer hat sich jahrzehntelang mit autoritären Einstellungen und Rechtsextremismus beschäftigt. Wie erklärt er Deutschlands Rechtsruck? taz: Herr Heitmeyer, viele haben die rechtsradikale AfD lange als Problem des Ostens gesehen. Jetzt hat sie auch in den westdeutschen Flächenländern Bayern und Hessen mit 15 und 18 Prozent ihre bisher höchsten Ergebnisse eingefahren. Was ist da los? Wilhelm Heitmeyer: Man muss beginnen bei der Charakterisierung der AfD. Landläufig ist immer noch verharmlosend von Rechtspopulismus die Rede, manchmal auch „in Teilen rechtsextremistisch“. Ich frage dann immer, aber was ist dann mit den anderen Teilen? Inzwischen schreckt auch die Einordnung als rechtsextremistisch die Sympathisanten und Wähler nicht mehr ab. Das war anders zu Zeiten der NPD und Republikaner. Und Rechtspopulismus ist ohnehin eine kriterienlose, leere Hülle, in die man alles reinschütten kann. Der Begriff zielt ja lediglich auf Erregungszustände ab, die AfD geht aber weit darüber hinaus. Sie ist viel gefährlicher, weil sie für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen attraktiv ist. Wie charakterisieren Sie denn die AfD? Es ist autoritärer Nationalradikalismus. Daraus erklärt sich der derzeitige Höhenflug. Die AfD propagiert ein autoritäres Gesellschaftsmodell mit traditionellen Lebensweisen – gegen pluralistische Kultur und für ethnische Homogenität. Das Nationalistische ist die Überlegenheitsvorstellung von deutscher Kultur. Wirtschaftspolitisch wird „Deutschland zuerst“ gefordert. Dann gibt es noch die ethnisch nationale Identitätspolitik mit Deutschsein als Identitätsanker und die Neudeutung deutscher Vergangenheit. Die Radikalität besteht vor allem in der Kommunikation und Mobilisierung mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gegen bestimmte markierte Bevölkerungsgruppen. Diese Bestandteile sind attraktiv, daran muss man Wahlergebnisse interpretieren.
via taz: Soziologe über Radikalismus der AfD :„Es hat sich etwas verschoben“