Auf der Videoplattform TikTok ist eine Art Feindesliste aufgetaucht. In Videoform werden knapp 100 Menschen aus Wissenschaft, Politik und Medien an den digitalen Pranger gestellt und als Feinde markiert. Unter den Betroffenen befinden sich auch Mitglieder der baden-württembergischen Landesregierung. Wie funktioniert diese Feindesliste? Und wer steckt dahinter? Die Spur führt ins Querdenker-Milieu. Rechte Fantasien: Der Wunsch nach “Nürnberg 2.0” Die Videos des TikTok-Accounts sind alle ähnlich aufgebaut: Unter einem Porträt der betroffenen Person steht: “Ich komme ins Gefängnis, weil ich Plandemie-Terror förderte.” Es folgt eine Liste angeblicher “Verbrechen”, die zu einer fiktiven Anklage führen sollen – bei einer Neuauflage der Nürnberger Prozesse.  Bei den Nürnberger Prozessen wurden vor fast 80 Jahren NS-Verbrecher für ihre Taten verurteilt. Teilweise zum Tod. Die Vorstellung einer Neuauflage dieser Prozesse war schon früher Vorbild für Feindeslisten. In der Vorstellung der extremen Rechten sowie der Querdenker-Szene ist der Wunsch nach einem “Nürnberg 2.0” gleichbedeutend mit der Sehnsucht nach einem “Tag der Abrechnung”. Durch den historischen Vergleich werden NS-Verbrechen verharmlost und politische Feinde in die Nähe von Tätern des Nazi-Regimes gerückt. Feindeslisten: Tradition unter Rechtsextremisten Feindeslisten haben in der rechten Szene eine lange Tradition. Sie können der Sammlung von Daten wie Adressen politischer Feinde dienen und werden manchmal im Verborgenenen angelegt. Bei den Rechtsterroristen des NSU fand man solche Listen, oder bei der Prepper-Gruppe Nordkreuz. Es gibt aber auch öffentliche Listen, eine Art Pranger, die vor allem einen Zweck erfüllen: Die betroffenen Personen einzuschüchtern. REMS-MURR-KREIS Der Hass, der nicht enden will: Reichsbürger-Feindesliste sorgt für Unruhe im Landtag Telegram-Kanal: Querdenker-“Satire” mit Hitlerbärtchen Hinter der TikTok-Feindesliste steckt unseren Recherchen zufolge ein Querdenker aus NRW, dessen Telegram-Kanal wir seit längerem verfolgen und der uns namentlich bekannt ist. Auf diesem Kanal finden sich über die vergangenen Jahre der Pandemie zahlreiche Beiträge, die typische Querdenker-Narrative bedienen. Der Betreiber will sie als Satire verstanden wissen. Auf TikTok ist eine Feindesliste aufgetaucht, die Menschen in Videoform an den Pranger stellt. Es ist womöglich die erste dieser Art auf der Plattform. © Screenshot TikTok Der Querdenker zeigt sich in seinen Beiträgen mit Hitlerbärtchen, nennt politische Feinde “Gashahndreher” und stellt auch in anderer Form Bezüge zwischen dem Umgang mit der Pandemie und dem Dritten Reich her. Selbst das Logo seines Tik-Tok-Kanals ist offensichtlich an die Hakenkreuz-Flagge der Nazis angelehnt. Gewaltfantasien: “Nur, um sie mal brennen zu sehen” Unter den Telegram-Beiträgen des Mannes fanden sich in der Vergangenheit bereits Gewaltfantasien. Im November 2021 teilte er ein Bild mit einem Adventskranz. Anstelle der Flammen war auf die Kerzen der Kopf einer bekannten Journalistin montiert – “nur, um sie mal brennen zu sehen”, schrieb er. Das sei kein Aufruf zur Gewalt, aber er freue sich schon darauf, wenn die betroffene Journalistin bei den nächsten Nürnberger Prozessen zu lebenslanger Haft verurteilt werde. REMS-MURR-KREIS Podcast zur Querdenker Szene: Wissenschaft und Politik als Feindbild Von der Vorstellung einer Neuauflage der Nürnberger Prozesse scheint der Mann regelrecht besessen. Er ging für diese Forderung bereits mit einer Namensliste in Plakatform auf die Straße. “Zweite Nürnberger Prozesse für alle Plandemie-Verbrecher” stand darauf zu lesen. Das reichte ihm nun offenbar nicht mehr.

via zvw: Querdenker-Feindesliste auf TikTok aufgetaucht: Auch Politiker aus BW betroffen