Nach der Tötung einer 12-Jährigen durch Gleichaltrige werden wieder Forderungen laut, das Strafmündigkeitsalter zu senken. Thomas Fischer erinnert daran, dass der Strafgedanke der “Vergeltung” gegenüber Kindern unangemessen und verboten ist. Empörung Am Mittwoch, 15. März, hatten 38.000 Personen eine Online-Petition mit dem Titel “Verurteilt Luises Mörderinnen! Ändert das Alter der Strafmündigkeit in Deutschland!” unterschrieben. Inzwischen sind es vermutlich mehr. Die Petition bezieht sich auf den berichteten Fall der vorsätzlichen Tötung eines 12-jährigen Mädchens im Siegerland; zwei 12- und 13-jährige Mädchen sollen die Täterinnen sein. Als erstes muss man hier anmerken, dass der Titel der genannten Petition offenkundiger Unsinn schon deshalb ist, weil eine rückwirkende Strafbarkeit durch ein Gesetz nicht begründet werden kann. Nach Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetztes ist nur ein solches Verhalten strafbar, dass “zur Zeit der Tat” materiellrechtlich mit Strafe bedroht war. § 19 Strafgesetzbuch (StGB), lautet: “Schuldunfähig ist, wer bei Begehung der Tat noch nicht vierzehn Jahre alt ist.” Da eine Bestrafung “Schuld”, also persönliche Verantwortung voraussetzt und Schuld nicht ohne Schuldfähigkeit bestehen kann (vergleiche § 20 StGB), scheidet eine Bestrafung (“Verurteilung”) strafunmündiger Personen aus. Dass die Petenten, im Gefolge einer unübersehbaren Zahl von “Social Media”-Schreibern, die mutmaßlichen Täterinnen als “Mörderinnen” bezeichnen, die Tat rechtswidrige Tat als “Mord” (§ 211 StGB) werten, ohne irgendwelche Kenntnisse über den Tathergang und das Vorliegen möglicher Mordmerkmale (§ 211 Abs. 2 StGB) zu haben, passt ins Bild einer hysterisch aufgeregten Empörungswelle, die auf das Geschehen wieder einmal mit den bekannten und eingeübten Reflexen reagiert. (…) Die heutige Grenze von 14 Jahren galt in Deutschland seit 1923 (Inkrafttreten des Jugendgerichtsgesetzes – JGG); vorher galt seit 1871 eine Grenze von 12 Jahren. Entsprechend weiterer Entwicklungsstufen wurden Jugendliche (14 bis 17 Jahre) regelmäßig dem Jugendstrafrecht unterstellt, Heranwachsende (18 bis 21 Jahre) je nach dem Einzelfall dem Jugend- oder Erwachsenenrecht. Während der NS-Zeit wurden zunächst die letztgenannten Grenzen nach unten verschoben. Ab 1943 konnte schon ab dem Alter von 14 Jahren Erwachsenenstrafrecht angewendet werden, und nach § 3 des Reichsjugendgerichtsgesetzes November 1943 sollten auch 12- und 13-jährige schuldfähig sein, “wenn der Schutz des Volkes wegen der Schwere der Verfehlung eine strafrechtliche Ahndung fordert.” Diese Regelungen wurden aufgehoben und 1952 in der DDR und 1953 in der Bundesrepublik die Grenze wieder auf 14 Jahre festgesetzt. (…) Jugendliche (14- bis 17-Jährige) können für ein Verbrechen des Totschlags mit einer Jugendstrafe bis zu zehn Jahren bestraft werden (§ 18 Abs. 1 Satz 2 Jugendgerichtsgesetz (JGG)). Der Sinn und die Aufgabe von “Strafe” im Allgemeinen ist es nach allgemeiner Ansicht, das Unrecht und die Schuld der Tat zu “sühnen” (Übelszufügung als Reaktion; Genugtuung für Opfer), andere von ähnlichen Taten abzuschrecken, den einzelnen Täter zu “bessern” und von weiteren Taten abzuhalten sowie der ganzen Gesellschaft das Gefühl von Verlässlichkeit der Regeln zu vermitteln. Bei Jugendlichen steht aber nach gesetzlicher Vorschrift das Abhalten von erneuten Straftaten sowie die erzieherische Einwirkung ganz im Vordergrund (§ 2 Abs. 2, § 18 Abs. JGG). Vergeltung, Abschreckung der Allgemeinheit und Normbestärkung spielen keine Rolle, erst recht nicht die einst beigezogene “Volksmeinung” (siehe oben). Forderungen, Kinder wegen Straftaten zu verurteilen und die bestehende Strafmündigkeitsgrenze aufzuheben oder zu senken, zielen in aller Regel auf den Gesichtspunkt der “Sühne” sowie die Genugtuungsfunktion von Bestrafungen ab, also auf Gesichtspunkte, die schon bei Jugendlichen nach dem Gesetz keine Rolle spielen. Sie stellen überdies häufig auf die Annahme oder Behauptung ab, Straftaten von unmündigen Kindern seien “folgenlos”. Das trifft natürlich nicht zu. Für abweichendes, regelverletzendes und schädigendes Verhalten von Kindern sind nicht die Justizbehörden, sondern die Jugendämter zuständig. Sie haben eine breite Palette von Möglichkeiten der Einwirkung bis hin zur dauerhaften Unterbringung in einem Erziehungsheim. Es gibt keine festen Sanktions- oder Einwirkungsregeln, weil jeder Einzelfall hochindividuell ist und von vielen Faktoren beeinflusst wird.
via lto: Strafmündigkeitsalter von Kindern senken?
