Jeden Monat sterben Menschen bei Polizeieinsätzen. Doch wie viele es genau sind, können Behörden nicht sagen. In einem Rechtsstaat ist das ein Problem. Als die Berliner Polizei an einem Abend im April 2022 in den Ortsteil Niederschöneweide gerufen wird, geht es um Hausfriedensbruch. Eigentlich ein Routineeinsatz. Im Hausflur treffen die Polizisten auf drei Obdachlose, heißt es später in der Polizeimeldung. Die Beamten fordern die Männer auf, zu gehen. Zwei von ihnen verlassen nach Polizeiangaben den Flur, doch dann geht etwas schief: Ein 39-jähriger Betrunkener habe mit einer Glasflasche geworfen und die Polizisten mit Tritten und Schlägen angegriffen. Diese sprühen Pfefferspray und fixieren den Mann, der sich weiter wehrt. Der Mann “litt dann aber plötzlich unter Atemnot und verlor das Bewusstsein”, schreibt die Polizei. Sechs Tage später stirbt er im Krankenhaus. Jeden Monat gibt es in Deutschland Fälle wie diesen: Menschen sterben während oder nach Polizeieinsätzen. Darunter sind Fälle wie der des 16-jährigen Mouhamed Dramé. Die Dortmunder Polizei erschoss ihn mit einer Maschinenpistole, es gab viele Berichte und eine große öffentliche Debatte. Doch viele Fälle greift höchstens die Lokalpresse auf oder sie erscheinen gar nicht in den Medien, meist dann, wenn keine Schusswaffen im Einsatz waren oder der Tod erst Tage später eintritt, wie im Fall des 39-jährigen Berliners. (…) Deutsche Behörden erfassen die jährliche Apfelernte, zählen Verkehrsunfälle und kennen den Bildungsstand der Bürgerinnen und Bürger. Doch wie viele Menschen bei Polizeieinsätzen sterben, ist ihnen nicht bekannt. Die Polizei darf als staatliches Organ körperliche Gewalt ausüben. Im Gegenzug müsste sie sich eine besonders genaue Kontrolle gefallen lassen. Wie kann es sein, dass ausgerechnet hier eine Statistik fehlt? In einem Rechtsstaat sei das ein Problem, sagt Tobias Singelnstein, Professor für Kriminologie und Strafrecht an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt: “Es gehört zu den Basics des Rechtsstaats, dass das Handeln der Polizei kontrolliert werden muss”, sagt er. Gewalt dürfe bei der Polizei nur als letztes Mittel und so wenig wie erforderlich zum Einsatz kommen. “Solange wir als Gesellschaft aber gar nicht genau wissen, wie häufig, wo und in welcher Form die Polizei Gewalt einsetzt, ist eine solche rechtsstaatliche Kontrolle polizeilichen Handelns nicht hinreichend möglich.”
via zeit: Polizeigewalt : Die Polizei weiß nicht, wie viele Menschen sie tötet
siehe dazu auch: Polizeiliche Todesschüsse Seit der Wiedervereinigung wurden mindestens 321 Personen durch Kugeln der deutschen Polizei getötet. Wir zählen von 1976 bis 1990 außerdem 153 tödliche Schüsse allein in Westdeutschland. Jedes Jahr veröffentlicht die Konferenz der Innenminister*innen der Bundesländer eine neue Statistik zum polizeilichen Schusswaffengebrauch des Vorjahres. Neben Warnschüssen oder Schüssen auf Tiere und Sachen werden auch Polizeikugeln auf Personen und daraus resultierende Todesfälle gezählt. Die ab 1984 von den Behörden geführte Aufstellung ist jedoch anonym, es wird nicht auf die einzelnen Taten eingegangen. Die Statistik gibt auch keine Auskunft über die Opfer. Seit 1976 dokumentiert die Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/CILIP deshalb die Hintergründe zu den durch die Polizei verursachten Todesfällen. Dabei sammeln wir Informationen zur Beteiligung von Sondereinheiten, der Zahl jeweils abgegebener Schüsse und der Situation, in der sich die Schussabgabe zutrug. So ist etwa von Bedeutung, ob die Getöteten selbst bewaffnet waren, sich womöglich in einer psychischen Ausnahmesituation befanden oder, wie es häufig geschieht, in ihrer eigenen Wohnung erschossen wurden.