Niedersachsens Justizministerium hat eine Fachtagung zum Linksextremismus gemacht. Schon bei der Definition des Phänomens haperte es. Für die niedersächsische CDU ist es ein lang gehegtes Herzensthema: Endlich nicht immer nur über Rechtsextremismus und radikale Islamisten zu reden, sondern auch einmal über gefährliche Linksextreme. Das CDU-geführte Justizministerium hat mit dem Landespräventionsrat Niedersachsen zum Fachtag „Praxiskonzepte zur Prävention des Linksextremismus“ eingeladen. Es kamen: Polizisten, Juristen und pädagogische Fachberater, die an ganz verschieden Stellen mit dem Thema befasst sind. (…) Schon an der Ausschreibung gab es Kritik, viele zweifelten am akuten Bedarf – immerhin zeigen selbst die offiziellen Zahlen der Polizeistatistik, genauso wie die Berichte des Verfassungsschutzes, dass die Gefahr von links eher rückläufig ist oder zumindest auf niedrigem Niveau verharrt, während die Coronakrise den Sicherheitsbehörden reichlich neue Kundschaft aus ganz anderen Richtungen beschert hat. Folgerichtig bewarben sich kaum Institutionen und Personen auf die Ausschreibung, wie Andreas Schwegel vom niedersächsischen Justizministerium auf der Fachtagung noch einmal beklagte. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) erbarmte sich schließlich und setzte eine Mitarbeiterin auf das Thema an. (…) Die Schwierigkeiten, das betonten die drei Expertinnen unisono, beginnen allerdings schon damit, dass man nicht einmal so richtig definieren kann, was das denn nun eigentlich ist: „linksextrem“. Es gibt in der Wissenschaft eine lange Debatte darüber, Polizei und Verfassungsschutz verstehen darunter noch einmal etwas anderes. Wo hört die berechtigte Kritik auf und wo fängt der Extremismus an? Und, so stellt die Studie von Treskow und Baier fest, es hapert nicht nur an den Grundlagen, sondern auch beim Bedarf. Sie haben sowohl bei Experten als auch bei bestehenden Präventionsprojekten aus dem Bereich nachgefragt: Ein dringendes Bedürfnis von Multiplikatoren wie Lehrern oder Sozialarbeitern, sich im Bereich Linksextremismus fortbilden zu lassen, sei nicht feststellbar. Auch die Projekte, die nun auf diesem Fachtag dem Publikum vorgestellt werden, haben sich also andere Stoßrichtungen gesucht. Wenn man das Thema Linksextremismus nicht direkt bearbeiten kann – auch weil man schlicht nicht genug über die Szene weiß, die sich dem Dialog mit Institutionen in der Regel verweigert – dann muss man eben bei der Demokratiebildung ansetzen. Wer verstanden hat, wie toll Demokratie ist, so die Logik, geht nachher nicht zur Antifa.

via taz: Linksextremismus in Niedersachsen :Ab wann ist links extrem?