Die hässliche Linie vom #Donbass nach #Butscha – #ukraine #russland #kriegsverbrechen

Das Grauen von Butscha zeigt kein neues Gesicht dieses Kriegs. In der Ostukraine ist der Terror seit acht Jahren Realität. Der Historiker Igor Koslowskij hat ihn erlebt. Erschossene Zivilisten, ausgebrannte Autos und Folterkeller: Wenn Igor Koslowskij in diesen Tagen die schrecklichen Bilder aus dem Kiewer Vorort Butscha vor Augen hat, dann ist er schockiert. “Aber sie haben mich nicht überrascht.” Denn der 67-jährige Ukrainer, schütteres Haar, sanftes Lächeln, kennt die Gewalt und den Terror der russischen Besatzung. Nicht nur von Bildern und Videos. Sondern aus eigener Erfahrung, am eigenen Leib.  Koslowskij ist Historiker und Religionswissenschaftler aus Donezk. Jene Stadt im Donbass, die seit 2014 von sogenannten prorussischen Separatisten kontrolliert wird. Dort war er auch Leiter des ökumenischen Zentrums für christlich-muslimischen Dialog, über den er 2014 sogenannte Gebetsmarathons für die ukrainische Einheit organisierte. Ein Jahr später nahmen ihn die sogenannten Separatisten fest. Bei den Verhören stülpten sie ihm einen Sack über den Kopf, schlugen ihn und hielten ihm eine Pistole an die Schläfe, schildert er. Vielleicht war es nur Glück, das Koslowskij vom Schicksal der Menschen trennt, die in Butscha erschossen wurden. Dem Ort, der inzwischen zum Inbegriff für die bekannt gewordenen russischen Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung in der Ukraine geworden ist. Fast 90 Prozent der Toten wurden nicht durch Schrapnell oder Bombenangriffe getötet, sondern gezielt durch Kugeln, sagt der Bürgermeister von Butscha. (…) Fast auf den Tag genau vor acht Jahren, am 12. April 2014, wurden im ostukrainischen Slowjansk einige Amtsgebäude besetzt. Die Stadt, in der die sogenannten Separatisten unter der Führung des ehemaligen russischen Geheimdienstlers Igor Girkin, Kampfname Strelkow, ein neostalinistisches Regime errichteten: Erschießungskommandos, Terror, pure Gewalt. Später zogen die Separatisten weiter, nach Donezk, wo sie die selbst erklärte Donezker Volksrepublik gegründet hatten, in der sie ihr Terrorwerk weiterführten. Bis heute. Als Historiker versucht Koslowskij, die Linien zu verbinden, sich die Dinge zu erklären und ein System zu erkennen – bei all dem Grauen. Er sitzt in seiner Wohnung in Kiew, er hat die ukrainische Hauptstadt seit dem Kriegsausbruch nicht verlassen. Mit ZEIT ONLINE spricht er über Zoom. Und die Linie, sagt er, führt von Donezk direkt nach Butscha. Die gezielte Zerstörung ziviler Objekte, die wilden Plünderungen, die Repressionen gegen die Zivilbevölkerung und die Auslöschung von allem, was ihnen auch nur ansatzweise als proukrainisch galt: Das alles gibt es nicht erst seit Butscha. Sondern schon seit 2014 im Donbass. Aus heutiger Sicht, sagt Koslowskij, wirkten die Vorgänge im Donbass “wie ein Experiment”, eine Ouvertüre der Gewalt und Besatzung, die acht Jahre später als großflächige Operation auf die Gesamtukraine ausgerollt werden sollte. Todeslisten mit Personen, die als besonders proukrainisch galten, vor denen zuletzt die US-Behörden warnten? Gab es im Donbass schon seit 2014. “An allen Checkpoints hatten die Separatisten ausgedruckte Listen und haben sie mit den Pässen der Passanten abgeglichen”, sagt Koslowskij. Auf so einer Liste stand er selbst.

via zeit: Die hässliche Linie vom Donbass nach Butscha