Kurz vor der Bundestagswahl durchsuchen Ermittler zwei SPD-geführte Bundesministerien, darunter das von Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Scholz. Doch Zweifel am Vorgehen der Staatsanwaltschaft wachsen. (…) Um kurz nach halb zehn klingeln die Ermittler an der Pforte des Finanzministeriums von Olaf Scholz. Zeitgleich findet auch eine ähnliche Aktion im Bundesjustizministerium statt. Vor der Tür des Finanzministeriums stehen drei Polizisten in zivil, eine Staatsanwältin und ein Staatsanwalt. Sie zeigen dem Pförtner den Durchsuchungsbeschluss. Das Ministerium lässt sie ein. Der zuständige Staatssekretär Werner Gatzer lässt sich in einem Gespräch aufklären, was das Ziel der Ermittler ist. Die Durchsuchung ist eine “Durchsuchung bei anderen Personen”. Im Gespräch mit dem Finanzstaatssekretär Gatzer sind die Ermittler sich unsicher, wo sie suchen sollen und lassen sich von Gatzer beraten. Zwei Referate scheinen interessant. Eins in Abteilung drei, das Fachreferat für die FIU (Financial Intelligence Unit), und ein Referat in Abteilung sieben des Ministeriums. Hier kümmert man sich um Fragen der internationalen Geldwäsche. Die beiden Staatsanwälte werden in die entsprechenden Büros geleitet, zu diesem Zeitpunkt sind die drei Polizisten schon nicht mehr dabei. Irritiert ist man im Ministerium vor allem darüber, dass während der schon seit Monaten laufenden Ermittlung zu keinem Zeitpunkt um Einsicht in die Akten gebeten worden ist.Die Staatsanwaltschaft Osnabrück erklärt das gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio so: Man habe am 30. Juli beim Bundesjustizministerium Unterlagen telefonisch angefragt. Die Herausgabe dieser Unterlagen sei aber durch das Justizministerium unter Verweis auf “Geheimhaltungsinteressen” und den “großen Dienstweg” abgelehnt worden. Ein drohender Beweismittelverlust sei nicht auszuschließen gewesen. Deshalb habe man sich vor Ort von der Aktenlage überzeugen wollen. Juristen nennen das Verdunklungsgefahr. Diese rechtfertigt eine Durchsuchung.Im SPD-geführten Justizministerium sieht man das allerdings anders. Ja, es habe das Gespräch gegeben. Das, was die Staatsanwaltschaft den “großen Dienstweg” nenne, sei aber nur die Bitte um eine schriftliche Anfrage gewesen. Aus dem Ministerium heißt es: “Das BMJV hätte auf ein behördliches Auskunftsersuchen der Staatsanwaltschaft Osnabrück selbstverständlich freiwillig, schnell und in vollem Umfang Auskunft gegeben.” Dazu sei die Behörde nach Paragraf 161 Absatz 1 der Strafprozessordnung gesetzlich verpflichtet.Das Ministerium müsse aber nach Paragraf 96 der Strafprozessordnung vor einer Herausgabe von Unterlagen auch prüfen, ob das Bekanntwerden des Inhalts der Unterlagen dem “Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde”.Weiter heißt es aus dem Ministerium: “Damit eine solche Prüfung ordnungsgemäß erfolgen kann, wurde um eine schriftliche Anfrage gebeten. Eine schriftliche Anforderung oder eine nochmalige telefonische Anforderung ist allerdings nicht erfolgt.” (…) Besondere Brisanz bekommt die Aktion durch ihren Zeitpunkt. Noch 17 Tage sind es am vergangenen Donnerstag bis zur Bundestagswahl. Entsprechend schnell und hart kommen die Angriffe von Opposition und CDU und CSU. Minister Olaf Scholz habe seine Geldwäscheeinheit nicht im Griff, heißt es. Auch Unionskandidat Armin Laschet nutzt die Gelegenheit, seinen Konkurrenten ums Kanzleramt zu kritisieren. Es entsteht der Eindruck, dass Ministerium sei durchsucht worden, weil man bei der Leitung Defizite vermute. Diese Lesart stützt auch eine Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft. Darin heißt es, untersucht werden solle, “ob und gegebenenfalls inwieweit die Leitung der Ministerien sowie vorgesetzte Dienststellen in Entscheidungen der FIU eingebunden waren”. Das wäre tatsächlich ein Skandal, denn das Bundesfinanzministerium hat für die FIU nur die Rechtsaufsicht. Das heißt: Das Ministerium darf prüfen, ob dort nach Recht und Gesetz gehandelt wird. Über behandelte Fälle darf das Ministerium und die Leitung aber nichts erfahren. Eine Regelung, die international üblich ist. So sollen die Finanzermittler vor politischen Eingriffen geschützt werden.Doch auch die Staatsanwaltschaft gerät nun unter Druck. Es kommt heraus, dass diese Pressemitteilung im Bezug auf das Ziel der Ermittlungen nicht mit dem von einem Richter erlassenen Durchsuchungsbeschluss übereinstimmt. Demnach dient die Durchsuchung lediglich der Identifizierung der beteiligten Mitarbeiter der FIU. Denn die kennt die Staatsanwaltschaft Osnabrück auch nach über einem Jahr Ermittlungen nicht. Das Ermittlungsverfahren läuft noch immer gegen Unbekannt. (…) Leiter der kritisierten Behörde ist Oberstaatsanwalt Bernard Südbeck. Er ist Mitglied der CDU, früher war er Büroleiter beim damaligen niedersächsischen Justizminister Bernd Busemann (CDU). Für manche in der SPD ist das zu viel CDU für einen Zufall.Warum erfolgte die Durchsuchung erst jetzt?Und es gibt weitere Ungereimtheiten in Bezug auf den Durchsuchungsbeschluss. Davon gibt es zwei: einen für das Justizministerium und einen für das Bundesministerium der Finanzen. Dieser ist auf den 10. August datiert. Die Durchsuchung findet aber erst einen Monat später statt. Ein ungewöhnlich langer Zeitraum zwischen Beschluss und Durchsuchung, den die Staatsanwaltschaft mit einer Panne beim Amtsgericht erklärt. Dieses habe den Antrag für den Durchsuchungsbeschluss beim Justizministerium übersehen und nur den Beschluss für das Finanzministerium ausgefertigt. Erst am 23. August sei das aufgefallen. Am 25. August stellt das Amtsgericht Osnabrück auch einen Beschluss für das Justizministerium aus.Für den Verfassungsrechtler Wieland ist das erstaunlich. Ein Durchsuchungsbeschluss sei per Definition eilbedürftig. “Den legt man sich ja nicht in den Schrank und wartet, bis man ihn wieder braucht.” Das Amtsgericht stelle so einen Beschluss ja auch unter dem Eindruck einer bestimmten Situation aus. “Die kann sich ja vier Wochen später auch wieder geändert haben.”
via tagesschau: Durchsuchungen werfen Fragen auf
siehe auch: “Die Staatsanwaltschaft ist nicht dafür da, Wahlkampf zu machen”. Ausgerechnet im Endspurt des Wahlkampfes sorgte eine Durchsuchung im Finanzministerium für Wirbel um den SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz. Die ganze Geschichte sei sehr suspekt, meint der Publizist, Autor und Jurist Heribert Prantl. Er sehe den Verdacht, dass die Staatsanwalt im Wahlkampf mitmische. Die Durchsuchung im Bundesfinanzministerium wirft Fragen auf. Warum ausgerechnet in der heißen Phase des Wahlkampfes? Zuständig für den Durchsuchungsbeschluss war die Oldenburger Staatsanwalt, die dem CDU-geführten Justizministerium in Niedersachen untersteht. Obendrein existierten unterschiedliche Angaben in Durchsuchungsbeschluss und Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft, auf die Scholz´ Staatssekretär auf Twitter hinweisen wollte – das sei alles sehr suspekt, findet der Publizist, Autor und Jurist Heribert Prantl; Durchsuchungen von Bundesministerien, eine Pressemitteilung und der Bundestagswahlkampf. Der Bundestagswahlkampf ist in seine finale, heiße Phase eingetreten. Die Umfrageergebnisse dürften für manche Akteure überraschend sein. Die Nerven vieler Beteiligter liegen blank. Auch wenn man diese Umstände in Rechnung stellt, ist die auf richterlichen Beschluss erfolgte Durchsuchung von zwei Bundesministerien bemerkenswert. Noch bemerkenswerter ist eine Pressemitteilung der zuständigen Staatsanwaltschaft Osnabrück. Mitgeteilt wird, dass in dem Verfahren der Staatsanwaltschaft Osnabrück wegen Strafvereitelung im Amt gegen Verantwortliche der Financial Intelligence Unit (FIU) Beamte der Zentralen Kriminalinspektion Osnabrück und der Staatsanwaltschaft Osnabrück die Amtsräume des Bundesministeriums der Finanzen und des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz durchsucht hätten. Ziel der Durchsuchungen sei die weitere Aufklärung eines Straftatverdachts und insbesondere individueller Verantwortlichkeiten. „Es soll unter anderem untersucht werden, ob und gegebenenfalls inwieweit die Leitung sowie Verantwortliche der Ministerien sowie vorgesetzte Dienststellen in Entscheidungen der FIU eingebunden waren.“ Diese Pressemitteilung kann nur so verstanden werden, dass die Untersuchung der Staatsanwaltschaft sich jedenfalls auch gegen die Leitung und die Verantwortlichen der beiden Ministerien richtete. Ein solcher Vorwurf ist im Wahlkampf von hoher Brisanz. Noch brisanter ist aber, dass die Staatsanwaltschaft tatsächlich nicht eine Untersuchung beim Verdächtigen (§ 102 StPO), sondern bei unverdächtigen Dritten (§ 103 StPO) beantragt und der zuständige Richter auch nur eine solche Untersuchung angeordnet hat. Die Pressemitteilung ist also falsch. Zu den Amtspflichten von Pressesprechern und Behördenleitern gehört es aber, Pressemitteilungen der Wahrheit entsprechend zu verfassen. Die Öffentlichkeit und die Medien müssen zur Sicherung der Informationsfreiheit zuverlässig und zutreffend über das Behördenhandeln informiert werden. Nur wahrheitsgemäße Informationen erlauben es ihnen, sich im öffentlichen Diskurs frei ihre eigene Meinung zu bilden. Das gilt in der parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes besonders in Zeiten des Wahlkampfs, wenn verschiedene Parteien miteinander im Wettstreit um eine neue demokratische Legitimation für ihre politische Arbeit stehen. Wer unzutreffende Pressemitteilungen zulasten eines Teilnehmers am politischen Wettbewerb herausgibt, verletzt seine Amtspflichten und handelt rechtswidrig. (…) Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist in jedem Verfahrensstadium das jeweils mildeste Mittel anzuwenden (BVerfG, B. v. 29.2.2012, 2 BvR 1954/11, Rn. 19). Nach unwidersprochen gebliebenen Pressemitteilungen ist der Staatsanwaltschaft bereits Ende Juli seitens der zuständigen Ministerialbeamten die Überlassung der gewünschten Informationen angeboten worden. Voraussetzung sollte nur ein schriftlicher Antrag sein. Da in einem Bundesministerium schon wegen des Prinzips der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung kein Beweismittelverlust zu befürchten ist, hätte die Staatsanwaltschaft einen solchen Antrag ohne weiteres und ohne jegliche Gefährdung ihres Ermittlungsverfahrens stellen können. Sie durfte und musste davon ausgehen, dass die beiden Bundesministerien sie im Wege der Amtshilfe in ihren Ermittlungen unterstützen würde.