In Heidelberg soll ein Mann auf der Feier einer Burschenschaft geschlagen und beschimpft worden sein, weil er jüdische Vorfahren hat. Was wissen wir über den Vorfall? Und wie groß ist das Problem mit Rechtsextremismus bei Burschenschaften? Eine Einordnung. (..) Was in der Nacht passiert, schildern Staatsanwaltschaft und Polizei in einer Mitteilung so: 28 Menschen sind bei der Feier in der Villa, mindestens. Mitglieder mehrerer Studentenverbindungen sind da. Einer der Gäste ist ein 25-jähriger Mann. Er gehört einer anderen Studentenverbindung an, der Afrania, ihr Sitz ist einen Katzensprung von der Villa entfernt. Gegen 1 Uhr in dieser Nacht sagt der 25-Jährige anderen Gästen, dass er jüdische Vorfahren hat. Danach schlagen einige von ihnen den Mann mit Gürteln gegen Arme und Beine und bewerfen ihn mit Münzen. Die Männer, heißt es weiter, beleidigen den Mann auch verbal antisemitisch. Sie nennen ihn “Jude”, schreibt die “Antifaschistische Initiative Heidelberg” auf ihrem Blog, in anderen Antifa-Quellen werden weitere antisemitische Schmähungen genannt. Acht Menschen werden beschuldigt, den Mann angegriffen zu haben. Er erstattet nach dem Vorfall Anzeige. Gegen die Beschuldigten ermittelt der Staatsschutz der Kriminalpolizei. (…) Einiges ist merkwürdig an den Reaktionen auf den Vorfall: Erstens gab es laut Medienberichten schon am 2.9. Hausdurchsuchungen wegen des Angriffs, die Polizei gab dazu aber tagelang nichts bekannt. Am 8.9. schrieben dann Polizei und Staatsanwaltschaft in ihrer Mitteilung: “Es zeichnet sich ab, dass es sich bei dem Schlagen mit den Gürteln, der sogenannten ,Gürtelung’, um ein gängiges Ritual der tatverdächtigen Personen handeln soll.” Diese Meinung scheinen die Ermittler relativ exklusiv zu haben. Zur “Gürtelung” im Zusammenhang mit Burschenschaften oder Studentenverbindungen gibt es auf Google keinerlei Treffer aus der Zeit vor dem Vorfall. (…) Es wird noch kurioser. Zwischen 8. und 9. September erscheint im Online-Lexikon Wikipedia plötzlich ein Eintrag zur “Gürtelung”. Er wird wenige Stunden später von einem Wikipedia-Editor wieder gelöscht – mit der Begründung, der Beitrag solle wohl den antisemitischen Vorfall in Heidelberg “kaschieren”. Vor der Löschung hatte den Beitrag Norbert Weidner auf Twitter verbreitet, jahrelang Mitglied im Verbandsrat der Deutschen Burschenschaft, eines Verbands von Burschenschaften. Weidner war in den 1990er Jahren Mitglied in mehreren Neonazi-Organisationen und verunglimpfte 2011 Dietrich Bonhoeffer, einen der prominentesten Widerstandskämpfer gegen die Nazis, als “Landesverräter”. Auf seinem Twitter-Account retweetet Weidner heute regelmäßig Inhalte von AfD-Accounts. (…) Für Michael Blume, Antisemitismus-Beauftragte des Landes Baden-Württemberg, ist die Normannia “eindeutig rechtsradikal”. Blume spricht gegenüber watson außerdem von “Personen in Polizeigewerkschaften, Justiz und Politik”, die zu den “Alten Herren” der Normannia gehörten. Er habe die Liste mit diesen Namen an die Ermittlungsbehörden weitergeleitet. Blume weiter: “Ich frage mich ernsthaft, warum diese Burschenschaft und ihr Dachverband nicht seit Jahren Beobachtungsobjekte des Verfassungsschutzes sind.” In den vergangenen Monaten wurde laut RNZ (die sich auf Informationen der Staatsanwaltschaft beruft) gegen mehrere Normannia-Mitglieder ermittelt: Ein Mitglied wurde (bisher noch nicht rechtskräftig) verurteilt, weil es ein Mitglied einer anderen Verbindung 2019 antisemitisch beleidigt und dann geschlagen haben soll, gegen ein anderes Mitglied wurde wegen Zeigens des Hitlergrußes ermittelt. Die Ermittlungen wurden aber eingestellt.

via watson: Antisemitischer Vorfall in Heidelberg wirft Fragen auf: Wie rechtsextrem sind Burschenschaften?