Die russischsprachige Community in Deutschland ist sehr vielfältig. Sie besteht aus den Menschen, die aus verschiedenen Gründen zu unterschiedlichen Zeiten nach Deutschland kamen, sowie der zweiten Generation, die bereits in Deutschland geboren wurde. Die Besonderheit der Community besteht darin, dass sie eher durch eine Sprache vereint ist und nicht auf der Zugehörigkeit zu einem Herkunftsland basiert. Zum einen gibt es ethnische Deutsche (Russlanddeutsche), die aus der UdSSR (hauptsächlich aus Russland und Kasachstan) repatriiert wurden. Dazu kommen die jüdischen Kontingentflüchtlinge, die Gruppen von Arbeiterinnen (mit Arbeitsvisum und Blue Cards), Studentinnen, Akademiker*innen und Flüchtlinge. Innerhalb dieser Diaspora gibt es viele verschiedene Untergruppen: Einige sind sehr gut integriert, andere wiederum haben fast keine Kontakte zum deutschsprachigen Umfeld. (…) Häufigkeit der angesprochenen Narrative: 1. Hass gegen Geflüchtete (Bedrohung der ethnonationalen Identität einschließlich des kulturellen Erbes, Hauptgrund für Kriminalität und andere Arten sozialer Unsicherheit); 2. Sehnsucht nach einer führenden Figur (Unterstützung von Putin, Gegnerschaft zu Merkel, deutsche bzw. europäische Politiker*innen seien handlungsunfähig, Ablehnung von Demokratie und Toleranz); 3. Kultur von Machismo und strikten Geschlechterrollen, 4. Russland in der Opferrolle/Russen im Ausland seien verfolgt; 5. Antiamerikanismus diese Kategorie geht mit Verschwörungstheorien einher (George Soros finanziere unerwünschte/bedrohliche Aktivitäten, Merkel sei dessen Marionette oder die der USA, die Flüchtlingsbewegungen seien von den USA initiiert und sollten die europäische Wirtschaft schädigen) Die untersuchten russlanddeutschen Gruppen in den Sozialen Medien eint, dass sie Russlanddeutsche als besonders engagiert für Deutschland (entsprechend dem Selbstverständnis der AfD) inszenieren. Die Vorstellung, zu einer Avantgarde beim Schutz der (neuen) Heimat zu gehören, kann das Selbstwertgefühl erhöhen. Soweit sich User*innen aktiv einbringen, kann daraus auch eine positive Selbstwirksamkeitsvorstellung resultieren. In allen Fällen wird eine russlanddeutsche Identität angesprochen und eine – deutsche – Gruppenzugehörigkeit angeboten, die an keine weiteren Bedingungen als die ideologische Übereinstimmung geknüpft ist. Mit dem Hass gegen Geflüchtete, dem Sexismus und der Homophobie finden sich in dieser Szene unter den dominanten Kategorien drei Konstrukte der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF). Der Hass gegen Geflüchtete ist eindeutig rassistisch aufgeladen, wie in den wichtigsten Narrativen der Wunsch nach einer herkunftshomogenen Bevölkerung und die Zuweisung kriminellen Handelns zeigen. Hier spielen klassische Funktionen des Rassismus wie Distinktionsgewinn durch Abwertung eine Rolle. Durch den Ausschluss wird auch versucht, die Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft zu betonen, in der Russlanddeutschen selbst Partizipation nur bedingt gelingt bzw. teilweise versagt wird.

via belltower: Online-Lebenswelten als Orte der Radikalisierung – Russischsprachige Diaspora